#Arbeits- und Sozialpolitik in türkis-rot-pink (I): Ambitionsloses Hoffen  

Die gute Nachricht: Wir haben eine Regierung ohne FPÖ-Beteiligung. Das ist schon was und keineswegs selbstverständlich. Drohende sozialpolitische Katastrophen wurden abgewehrt.

Die ernüchternde Nachricht: Im Bereich der Sozial- und vor allem Arbeitsmarktpolitik schwankt das Regierungsprogramm zwischen Ambitionslosigkeit und dem Prinzip Hoffnung hin und her. Und so mancher „Leuchtturm“ entpuppt sich bei näherem Hinschauen eher als kleine, flackernde Kerze. In einigen Bereichen drohen empfindliche Kürzungen. Das letzte soziale Netz droht weiter durchlöchert zu werden.

Eine Einschätzung der Regierungsvorhaben der Ömpel in den Bereichen Arbeit und Soziales im  Schnelldurchlauf. Was ist gut? Wo fehlt’s? Wo droht Übles? Erster Teil: Arbeitsmarkt. Und da konnte es türkis-rot-pink gar nicht schnell genug mit der Abschaffung von Bildungskarenz und -teilzeit gehen.

Wie erwartet: AMS-Budget wird aufgestockt

Das AMS-Budget wird 2025 um 230 Mio. Euro aufgestockt – für Kurzarbeit, eine Fachkräfteoffensive und Arbeitsstiftungen. Gerade in Krisenzeiten steigender Arbeitslosigkeit so richtig wie begrüßenswert. Und erwartbar. Es war auch in der letzten Legislaturperiode so: Jedes Jahr wurden die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik aufgestockt. U.a. für Aktionen wie Sprungbrett, die Wiederauflage des Integrationsjahrs, für Menschen mit Behinderungen. So auch dieses Jahr. So weit so gut.

Speed kills Bildungskarenz –  von neuer Regierung bereits abgeschafft

Weniger gut: Bildungskarenz und Bildungsteilzeit – von ihrem Aus war ursprünglich nie die Rede – sind mit dem Parlamentsbeschluss vom 7. März von ÖVP, SPÖ und der „Bildungspartei“ NEOS abgeschafft worden. „Speed Kills“ in türkis-rot-pink. Wer nach 1. April eine Bildungskarenz/-teilzeit vereinbart bzw. antritt, erhält künftig kein Weiterbildungs- bzw. Bildungsteilzeitgeld mehr (Ausnahme: der/die Betroffene kann nachweisen, die Bildungskarenz vor 28. Februar 2025 vereinbart zu haben). Abgesehen von der überfallsartigen Abschaffung – für viele Arbeitnehmer:innen stellt das Aus für Bildungskarenz und -teilzeit schließlich einen harten Eingriff in die unmittelbare Lebens- und Karriereplanung dar – ist die Vorgangsweise der Regierung auch in anderer Hinsicht bedenklich. Die versprochene Nachfolgeregelung gibt es nämlich nicht unmittelbar im Anhang an die Abschaffung, sondern soll es erst im Jänner 2026 geben. Auch hinsichtlich einer Alternative zur bisherigen Bildungskarenz und -teilzeit werden Betroffene für Monate hängen gelassen.

Die aus dem Regierungsprogramm bekannten Eckpfeiler der angeblichen „Nachfolgeregelung“ haben mit dem Original auch so gut wie nichts mehr zu tun: So soll die „Bildungskarenz neu“ nur noch der „innerbetrieblichen Höherqualifizierung“ dienen. Zusätzlich sollen sich Arbeitgeber finanziell beteiligen. Eine Bildungskarenz anschließend an die Elternkarenz ist im neuen Modell explizit ausgeschlossen. Das Ende der Bildungskarenz als eine der wenigen Möglichkeiten einer selbstgewählten, selbstbestimmten Aus- und Weiterbildung oder beruflichen Umorientierung ist damit fix.

Dabei wäre es auch anders gegangen, wäre eine qualitative Verbesserung und mehr Effizienz dieser Bildungsmaßnahmen im Vordergrund gestanden, statt der selbst auferlegte Sparzwang: Stärkung des Bildungs- und Arbeitsmarktfokus, strenge Qualitätskriterien für Kurse und Anbieter, verpflichtende Bildungsberatung und –begleitung, Erleichterung des Zugangs für Geringqualifizierte … Allesamt Vorschläge des WIFO, die Missbrauch reduziert, die Bildungskomponente gestärkt und die Wirkung der Bildungskarenz erhöht hätten. Ein entsprechender grüner Antrag im Rahmen der Nationalratssitzung („Zielsichere Reform der Bildungskarenz statt Abschaffung“) wurde von den Regierungsparteien ÖVP, SPÖ und „Bildungspartei“ NEOS abgelehnt.

 

Meine Rede im Nationalrat zur Abschaffung der Bildungskarenz durch die türkis-rot-pinke Koalition.

Die kommende türkis-rot-pinke Reform schließt dagegen junge Mütter aus der neuen „Bildungskarenz“ ganz bewusst aus. Was befürchten lässt, dass vermehrt Frauen nach der Elternkarenz – zumindest vorübergehend – aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, um sich der Kinderbetreuung zu widmen. Mit den bekannten Folgen: Nämlich einem ungleich schwierigeren Wiedereinstieg ins Erwerbsleben, Qualifikationsdefiziten und geringerem Einkommen. Folgen, die durch eine Bildungskarenz nach Elternkarenz weitgehend erspart bleiben. Die Abschaffung der Bildungskarenz – eine Maßnahme zulasten junger Frauen und deren Bildungschancen.

Was zusätzlich erschwerend dazu kommt: In Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Probleme wurde die Bildungskarenz zunehmend zu einem Instrument zur Krisenbewältigung und zur Sicherung von Arbeitsplätzen: Statt Mitarbeiter:innen zu kündigen, wurden sie in Bildungskarenz geschickt. Statt arbeitslos zu werden, konnten sich Beschäftigte so weiterbilden und -qualifizieren und konnten nach einer bestimmten Zeit – optimalerweise, wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten überwunden waren – mit zusätzlichen Qualifikationen ins Unternehmen zurück kommen. Für Arbeitnehmer:in und Betrieb ein Vorteil. Für die Arbeitslosenversicherung war es egal, ob Weiterbildungs- oder Arbeitslosengeld bezahlt werden musste. Auch diese Möglichkeit fällt künftig weg. Ob das in Zeiten wie diesen besonders intelligent ist? Wohl eher nicht.

Massive Einschränkung des Zuverdienstes bei Arbeitslosigkeit

Was grün noch verhindert hat, kommt jetzt mit rot in der Regierung: Die massive Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeiten bei Arbeitslosigkeit. Gut, könnte man sagen, wenn im Gegenzug Arbeitslosengeld und Notstandshilfe erhöht werden, sollte das kein größeres Problem sein (dann wären natürlich auch wir dafür). Das kommt aber nicht. Künftig soll geringfügig dazuverdienen nur noch dürfen, wer bereits vor Beginn der Arbeitslosigkeit ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis hatte. Zusätzliche Ausnahmen soll es für nicht näher definierte „Langzeitarbeitslose“ geben, die über die Dauer von maximal 6 Monaten einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis nachgehen dürfen. So sinnvoll es sein kann, in den ersten Monaten der Arbeitslosigkeit Zuverdienstmöglichkeiten einzuschränken – immer unter der Prämisse, dass insbesondere Bezieher:innen eines niedrigen ALG sozial besser abgesichert sind –, so wenig sinnvoll erscheint es, mit länger dauernder Arbeitslosigkeit den Zuverdienst derart drastisch zu begrenzen. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass mit Länge der Arbeitslosigkeit Armutsgefährdung und Perspektivenlosigkeit steigen, Arbeitsroutine verloren geht – und es umso wichtiger ist, einen Fuß in der Arbeitswelt zu behalten. Was belegbar den Wiedereintritt erleichtert und beschleunigt.

Zusammenfassend zum Kapitel Arbeitsmarkt: Wesentliche grüne Errungenschaften – wie der erhöhte Bildungsbonus für länger dauernde AMS-Maßnahmen, das Pflegestipendium, die Neuauflage des Integrationsjahrs – bleiben. Projekte, die unter grüner Regierungsbeteiligung umgesetzt wurden – wie etwa die Umwelt-Arbeitsstiftung – sollen weitergeführt werden. Grün hat ein Fundament für eine zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik gelegt, auf dem aufgebaut werden kann.

Umgekehrt kommen von dieser Regierung kaum Verbesserungen und bleiben große arbeitsmarktpolitische Würfe aus – von einer Erhöhung des Arbeitslosengelds oder gar einer Valorisierung der Notstandshilfe, wie von der SPÖ immer wieder eingefordert, keine Rede. ÖVP-Prestigeprojekte wie Wartefristen, ein degressives Arbeitslosengeld oder die Befristung der Notstandshilfe kommen nicht – wir haben‘s in der letzten Legislaturperiode verhindert, jetzt die SPÖ. Mit der de facto Abschaffung der Bildungskarenz und der Einschränkung des Zuverdienstes  – wenn auch in entschärfter Form – konnte die ÖVP allerdings zwei ihrer zentralen Forderungen umsetzen.

Teil II – Sozialhilfe

Teil III – Kindergrundsicherung

Teil IV – Pensionen