211 Seiten hat das neue Regierungsprogramm. Gerade einmal eine dreiviertel (!) Seite behandelt das Thema Kindergrundsicherung. So kurz wie vage Ernüchternd. Bei allem guten Willen: Kinderarmut lässt sich so jedenfalls nicht bekämpfen. Dabei ließe sich auf der grünen Vorarbeit und den grünen Erfolgen gut aufbauen.
Blick zurück: Meilensteine Richtung Kindergrundsicherung in „grün“
Werfen wir zuallererst einen Blick zurück – auf die vergangene schwarz-grüne Regierungsperiode. Unter Verantwortung der Grünen konnten in den letzten Jahren zentrale Maßnahmen zur Bekämpfung der Kinderarmut umgesetzt werden, die Basis einer künftigen Kindergrundsicherung sein könn(t)en:
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- die Valorisierung der Familienleistungen, durchgesetzt von uns Grünen: Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag werden jährlich um die Inflation erhöht, also wert- bzw. kaufkraftgesichert. So erhöhte sich z.B. Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für ein 8-jähriges Kind seit 2019 von 180,30 Euro auf aktuell 218,90 Euro.
- der Kindermehrbetrag kommt v.a. Alleinerzieher:innen und Niedrigverdiener:innen zugute. Er wurde unter Verantwortung der Grünen von 250 auf 700 Euro/Jahr erhöht.
- Zusätzlich werden seit 2023 auch Absetzbeträge wie der Alleinerzieher:innenabsetzbetrag jährlich um die Inflationsrate erhöht.
- Zuletzt wurde der Kinderzuschlag (§ 104 EStG) geschaffen. Erwerbstätige Alleinerzieher:innen und –verdiener:innen mit niedrigem Einkommen bis 2.170 Euro brutto im Monat erhalten ab Juli 2025 monatlich 60 Euro je Kind. Ab 1.1.2026 wird dieser Betrag zusätzlich valorisiert.
Alle diese Maßnahmen zusammengefasst – valorisierte Familienbeihilfe/Kinderabsetzbetrag, Alleinverdiener:innenabsetzbetrag, Kindermehrbetrag/Familienbonus+ und Kinderzuschlag – bedeuten für eine alleinerziehende Handelsangestellte mit einem kollektivvertraglichen Einkommen von 2.210 Euro/Monat knapp 390 Euro im Monat. Ein deutliches Plus im Vergleich zu den Vorregierungen ohne grüner Regierungsbeteiligung.
Um das einordnen zu können: In der wissenschaftlichen und politischen Debatte der letzten zwei, drei Jahre um eine Kindergrundsicherung wurde regelmäßig ein einheitlicher Betrag (aus Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und Familienbonus bzw. Kindermehrbetrag) von 367 Euro im Monat für jedes Kind als Basis einer Kindergrundsicherung genannt. Dieses Niveau wurde in den letzten Jahren (wenn auch – noch – nicht als einheitliche Leistung) bereits für besonders armutsgefährdete Kinder und deren Familien erreicht, weil es ein politischer Schwerpunkt grüner Sozialpolitik war.
Weder Rom noch die Kindergrundsicherung wurden und werden an einem Tag oder auch in nur fünf Jahren „erbaut“. Aus dem Regierungsprogramm ist aber gegenwärtig nicht herauslesbar, welche neuen, zusätzlichen „Bauprojekt“ in Sachen Kindergrundsicherung die neue Bundesregierung anzugehen gedenkt.
Blick nach vorne: Fehlende Klarheit
So konkret die Maßnahmen der letzten Jahre waren und sind, so vage bleibt das aktuelle Regierungsprogramm. Nach einer einleitenden allgemeinen Zielsetzung („Halbierung der Kinderarmut“) und der Ankündigung einer Studie zu bereits bestehenden Sachleistungsangeboten der Länder und Gemeinden folgt die her kryptische Ankündigung, „bestehende Indices zur Kinderarmut gemeinsam mit Statistik Austria ressortübergreifend“ zu definieren, weiterzuentwickeln und auszuweiten. Der neuen Regierung schwebt eine 2-Säulen-Kindergrundsicherung vor, bestehend aus einem „infrastrukturellen“ und einer „finanziellen“ Säule – also aus Sachleistungen wie Kinderbetreuung, kostenlose und gesunde Mahlzeiten oder eine verbesserte Gesundheitsversorgung. Auch hier haben die Grünen in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung bereits vorgearbeitet:
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- mit dem 4,5 Mrd. Euro Paket für den Ausbau von Kinderbetreuungs- und -bildungseinrichtungen.
- im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit wurde u.a. mit dem Paket „Gesund aus der Krise“ zur Bekämpfung psychischer Belastung infolge der Corona-Pandemie ein wichtiger Schritt zum Ausbau psychotherapeutischer für Kinder und Jugendliche gesetzt.
- Und: Dass unter der von Johannes Rauch initiierten Gesundheitsreform auch die Möglichkeit geschaffen wurde, kinderheilkundliche Primärversorgungszentren zu schaffen.
Aus Sicht der Grünen ist diese „infrastrukturelle“ Grundsicherung noch durch ein entsprechend leistbares Mobilitäts- sowie kulturelles und sportliches Angebot zu erweitern, doch so weit, so richtig und wichtig. Die vorgesehene Erhebung bestehender Sachleistungen auf den verschiedenen Ebenen – Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen – um eine Überblick über Bedarfslücken, Versorgungsangebot, regionale Problemlagen und Lösungsansätze etc. zu erhalten, war schon unter dem grünen Sozialminister Rauch in Planung und ist ebenso sinnvoll wie unterstützenswert. Nur ist es halt auch nichts Neues.
Was bleibt vom Modell „Kindergrundsicherung“?
Zur zweiten Säule steht unter der Überschrift „Kindergrundsicherung“ genaugenommen gar nichts Klares:
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- Mit „Anpassungen bei der Altersstaffel der Familienbeihilfe“ meinten ÖVP, FPÖ und NEOs zumindest bisher immer Kürzung der Sozialhilfe-Richtsätze für Kinder um die sogenannte Geschwisterstaffel in der Familienbeihilfe
- Die Erhöhung der Take-up-Rate (also der Inanspruchnahme) von Familien- und Sozialleistungen ist ein gutes Ziel, hängt aber ohne Hinweis, wie das Ziel erreicht werden kann und soll, vollständig in der Luft.
- Die Ankündigung einer Studie zur Herauslösung von Kindern aus der Sozialhilfe (derzeit sind etwa 30% aller Sozialhilfebezieher:innen Kinder und Jugendliche) ist zwar grundsätzlich sinnvoll und auch notwendig, aber noch kein Bekenntnis zu einer eigenständigen Kindergrundsicherung
- Die Feststellung, dass die Kindergrundsicherung Erwerbsanreize für die Eltern beinhalten soll, ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, aber – richtig – mit dem Kinderzuschlag von 60 Euro pro Monat für Menschen mit niedrigem Einkommen (§104 EStG), den die Grünen mit 1.1.2025 durchgesetzt haben, bereits umgesetzt. Also auch nicht neu.
Ein bisschen mehr Klarheit – wenn auch nicht im positiven Sinne – ergibt sich, wenn der Absatz zur Kindergrundsicherung gemeinsam mit den Maßnahmen in der Sozialhilfe gelesen wird. Da ist nämlich von einem „einheitliche(n) Zuschlag für Kinder (Höhe Familienzuschlag analog zum Arbeitslosengeld)“ die Rede. Um das zu verdeutlichen: Der derzeit niedrigste Richtsatz für ein erstes Kind in einem Sozialhilfehaushalt liegt bei 253,89 Euro im Monat. Sollten fünf Kinder in einem Haushalt leben, so gibt es in Oberösterreich 145,08 Euro pro Kind und Monat. Der Familienzuschlag im Arbeitslosengeld, der im Regierungsprogramm angesprochen wird, liegt bei 97 Cent pro Kind und Tag. Das sind 29,10 Euro pro Kind und Monat. Angesichts einer Differenz zwischen Familienzuschlag und niedrigstem Kinderrichtsatz von 88% (oder fast 225 Euro pro Monat) wirkt der nächste Bulletpoint zum Leistungsniveau in der Sozialhilfe für Kinder ein bisserl zynisch: „Erhöhung des Familienzuschlags“.
Was bleibt noch für armutsgefährdete Kinder?
Der wirklich dramatische Satz kommt aber erst. Die Regierungsparteien haben sich nämlich auf eine „verfassungskonforme Anrechnung der Familienbeihilfe“ in der Sozialhilfe geeinigt. Das bedeutet: Die Kinderrichtsätze in der Sozialhilfe sollen massiv gekürzt und dann auch noch die Familienbeihilfe ganz oder teilweise davon abgezogen werden.
Selbst für den Fall, dass die Anrechnung der gesamten Familienbeihilfe auf Sozialhilfe für Kinder (und in der Folge auf die 2. Säule der Kindergrundsicherung) nicht umgesetzt werden kann (weil sie sehr wahrscheinlich weder verfassungs- noch europarechtlich möglich ist), bleibt noch immer eine massive Kürzung der Leistungen für Kinder und damit eine Verschlechterung der Lebenssituation dieser Kinder.
Wie man es auch dreht und wendet: Es kann kaum Gutes dabei herauskommen. Da bleibt einfach nichts übrig für die Kinder außer einer großen Lücke. Eine Armutsgefährdungslücke. So wird die Kindergrundsicherung jedenfalls kein Instrument gegen Kinderarmut.
Umso wichtiger daher, dass die Grünen noch die Valorisierung der Familienleistungen, die Erhöhung des Kindermehrbetrag und der Kinderzuschlag für Alleinerzieher:innen und –verdiener:innen durchsetzen konnten.
Zusammengefasst kann festgehalten werden: Die ausdrückliche Erwähnung einer „Kindergrundsicherung“ im Regierungsprogramm macht noch keine Umsetzung. So sehr die Intentionen des 2-Säulen-Modells zu unterstützen sind (1. Säule: Infrastruktur, 2. Säule: Geldleistung) sind die Umsetzungsschritte vage bis ernüchternd. Die wichtigsten Schritte in Richtung einer „Kindergrundsicherung“ wurden bereits unter Grüner Regierungsbeteiligung getätigt: Die Valorisierung der Familienleistungen, die Erhöhung des Kindermehrbetrags, der Kinderzuschlag für Alleinerzieher:innen/-verdiener:innen. Viel Neues – so die Befürchtung – ist von der Ömpel leider nicht zu erwarten.