#Arbeits- und Sozialpolitik in türkis-rot-pink (IV): Neue Töne bei Pensionen

Regierende haben’s nicht leicht. Einerseits müssen Programme so allgemein formuliert sein, dass alle Beteiligten irgendwie damit leben können. Andererseits sollen sie ein möglichst klares Bild davon zeichnen, was in den nächsten Jahren gemacht werden soll. Eine Möglichkeit, mit diesem Widerspruch umzugehen ist, genauere Festlegungen weit in die Zukunft, am besten über die aktuelle Gesetzgebungsperiode hinaus, zu verlegen.

Pensionsautomatismus – Hauptsache später

Ein wunderschönes Beispiel ist die Einigung auf einen sogenannten Pensionsautomatismus: Im Jahr 2031 wird die – dann nach zumindest einer weiteren Wahl im Amt befindliche neue Bundesregierung zu bewerten haben, ob noch nicht weiter genannte Maßnahmen zur Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters in nicht näher ausgeführtem Ausmaß geführt haben, oder nicht. Sollte das nicht näher ausgeführte Ausmaß der Anhebung durch die nicht näher ausgeführten Maßnahmen nicht erreicht worden sein, so würde einerseits die Anzahl der für die Korridorpension notwendigen Versicherungsjahre in Halbjahresschritten erhöht und andererseits ein nicht näher ausgeführter Mix an Maßnahmen in den Bereichen „Beitragssatz, Kontoprozentsatz, Anfallsalter, Pensionsanpassung, Anspruchsvoraussetzungen, und sonstige Maßnahmen“ gesetzt werden.

Zugegeben: Die etwas sarkastische Formulierung ist naheliegend… Aber ein bisserl weniger defizitorientiert kann festgestellt werden: Alle neuen Regierungsparteien sind sich – und das ist immerhin ein essentieller Fortschritt – einig, dass bei den Pensionen etwas gemacht werden muss. Es gibt nur keine Klarheit geschweige denn Einigung, was eigentlich genau passieren soll.

Das ist erläuterungsbedürftig: An sich bleiben Prognosen über die Entwicklung der Pensionskosten gemessen am BIP seit sehr langer Zeit recht stabil. Weil aber einerseits vergangene Regierungen regelmäßig auf Steuer- und Beitragssenkungen gesetzt haben, ohne auf die gesellschaftlichen Folgen zu achten, und andererseits Löhne in den letzten vier Jahrzehnten deutlich geringer stiegen, als die Unternehmensgewinne, sinken die Einnahmen in Relations zu den vergleichsweise stabilen Kosten.

Was das Regierungsprogramms tatsächlich geschafft hat: weder die beiden „Extrempositionen“ – nämlich das ÖVP-NEOs-Credo wonach Pensionen radikal gesenkt werden müssten, noch die SPÖ-Linie, dass sich nichts, aber schon gar nichts am Pensionssystem ändern dürfe – schon gar nicht für weiße, männliche Facharbeiter – haben ihren Weg ins Regierungsprogramm gefunden. Sondern ein überraschend vernünftiger Kompromiss. Das ist nicht nichts.

Bezogen auf die kommende Legislaturperiode gibt es entsprechend einen sehr konkreten Punkt im Regierungsprogramm, etliche interpretationsbedürftige und einige völlig nebulöse Ankündigungen.

Erhöhung des Antrittsalters in der Korridorpension

Sehr konkret ist die Festlegung, dass Menschen in Zukunft 42 statt 40 Versicherungsjahre benötigen werden, um frühestens mit 63 Jahren (statt wie bisher mit 62 Jahren) in (Korridor-)Pension gehen zu können. Pensionsausgaben reduziert werden mit dieser Maßnahme nicht – denn das System der Ab- und Zuschläge führt dazu, dass Pensionsantritte zwischen aktuell 62 und 68 Jahre zu in etwas ausgeglichenen Einsparungen (Abschläge) und Ausgaben (Zuschläge) führen.  Wenn Menschen allerdings bis zu zwei Jahre länger arbeiten müssen,  erhöht das aber die Einnahmen der Pensionsversicherung.

Nicht besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass Frauen allerfrühestens 2030 erstmals in Korridorpension gehen können werden (bisher 2028), das aber immerhin mit einer deutlich höheren Pension.

Teilpension kommt

Interpretationsbedürftig und je nach Koalitionspartner:in unterschiedlich interpretierbar sind eine Reihe anderer Regierungsvorhaben:

    • Die Schaffung der Möglichkeit einer Teilpension ist an sich eine sehr gute Idee. Mit ihr können Menschen, die in reduziertem Ausmaß über das gesetzliche Pensionsantrittsalter hinaus arbeiten wollen, einen Teil ihrer Pension in Anspruch nehmen, gleichzeitig länger (Teilzeit) erwerbstätig bleiben und so von weiterhin geleisteten Beiträgen und Zuschlägen profitieren. Damit können Beitragseinnahmen und das effektive Pensionsantrittsalter erhöht werden. Im Regierungsprogramm steht allerdings auch, dass das Modell der Altersteilzeit automatisch endet, sobald ein theoretischer Teilpensionsanspruch – also z.B. eine Korridorpension – entstanden ist. Unabhängig davon, ob der/die Betroffenen gerne länger arbeiten würde oder nicht. Die „Zwangsfrühpensionierung“ hätte aufgrund der Abschläge Verluste von rund 8 % zur Folge. Und das, obwohl – so zumindest im bisherigen System – bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter gearbeitet werden könnte. Eine Neu-Regelung, die also überdacht werden sollte, weil diese sonst kontraproduktiv auf das Ziel der Erhöhung des effektiven Pensionsantrittsalters wirken würde.
    • Die angekündigte Reform der Schwerarbeitspension soll selbige zwar „entbürokratisieren“ und beinhaltet auch die Aufnahme der Pflegeberuf in die Liste der Schwerarbeitsberufe – führt dazu aber nichts weiter aus. Damit stellt sich die Frage, wie Menschen in der Pflege überhaupt in Schwerarbeitspension gehen können sollen, wenn sie mit sechzig niemals 45 Versicherungsjahre haben können (weil sie frühestens mit 17 Jahren die Ausbildung beginnen konnten). Aber es noch wesentlichere Fragen: Wie soll Schwerarbeit überhaupt feststellbar sein, wenn die Unternehmen die Schwerarbeit nicht mehr dokumentieren („entbürokratisieren“) müssen.
    • Eine begrüßenswerte Position: Die erste Pensionsanpassung soll zukünftig nicht mehr abhängig vom Zeitpunkt des Pensionsantritts erfolgen, sondern immer zu 50% erfolgen. Wobei dazu gesagt werden muss, dass die Aliquotierung bislang ohnehin noch nie wirksam wurde.

Sonstiges: Von A wie Alterssicherungskommission  bis I wie Invaliditätspension

Absolut nebulös und – was zu befürchten ist – wahrscheinlich mit erheblichen Verschlechterungen für die Betroffenen verbunden sind

    • Die Umstellung der Invaliditätspension von einem Berufsschutz auf einen Einkommensschutz: Wer z.B. krankheitsbedingt nur mehr etwa 50% seiner Leistung erbringen kann, könnte für „teilarbeitsfähig“ erklärt werden und daher eine halbe Invaliditätspension erhalten. Der Rest des Einkommens muss dann auf dem Arbeitsmarkt erwirtschaftet werden, wobei es keine Einschränkung mehr auf Branchen gäbe: Zumutbar ist dann theoretisch jeder Job. Das Wort „theoretisch“ ist dabei wichtig, weil in der österreichischen Judikatur regelmäßig auf den sogenannten fiktiven Arbeitsmarkt verwiesen wird, wonach – theoretisch – ein Betroffener ja z.B. als Portier arbeiten könnte. Praktisch gibt es in ganz Österreich allerdings nicht annähernd so viele Portierjobs, wie Menschen „theoretisch“ darauf verwiesen werden. Wenig praxistauglich also.
    • Ein ähnliches System gibt es in der Schweiz und ist mit erheblichen Härten verbunden: So etwa erhalten Teilzeitbeschäftigte oft keine Teilpension, weil sie ja theoretisch zu 50% arbeitsfähig sind. Nachdem sie vorher auch nur zu 50% gearbeitet haben, steht ihnen sehr oft keine Pension zu. Alles in Allem: Schwer zu glauben, dass sich SPÖ und Gewerkschaft eine derartige Interpretation erlauben könnten, die ihr Kernklientel, nämlich ältere, männliche Facharbeiter, sehr schwer trifft.
    • Die unerläuterte Ankündigung einer „Modernisierung“ der Hinterbliebenenpension, bei der eine Ausweitung der Ansprüche als eher unwahrscheinlich erscheint und daher damit gerechnet werden muss, dass in Ansprüche von Frauen mit längeren Teilzeitphasen eingegriffen werden soll.
    • Die Reform der Alterssicherungskommission, die unstrittig notwendig ist. Sie wird derzeit durch das Bestehen der ÖVP auf einen 22 Jahre alten, völlig überholten „Budgetpfad“ in Verbindung mit einem unklaren gesetzlichen Auftrag blockiert. Die Flapsigkeit der Formulierung im Regierungsprogramm deutet eher nicht darauf hin, dass hier eine gemeinsame Vorstellung von den Grundlagen der Arbeit in der Kommission besteht.

Konkret und zielgerichtet ist das Regierungsprogramm eigentlich nur dort, wo es gar nicht um Pensionen geht: In der Vereinbarungen zu einem „Älterenbeschäftigungspaket“: zusätzlichen Mittel für Ausbildung und die Schaffung alternsgerechter Arbeitsplätze sowie eigener, sozialökonomischer Beschäftigungsprogramme für langzeitarbeitslose Menschen ab 55 Jahren.

Zusammenfassend: Im Bereich Pensionen finden sich gute Ansätze, die tatsächlich einen Beitrag dazu leisten können, einerseits das effektive – also tatsächliche – näher an das gesetzliche Pensionsantrittsalter heranzuführen und alternsgerechteres Arbeiten zu garantieren. Gleichzeitig werden heikle Entscheidungen auf künftige Regierungen verschoben – ein Programm, auf das sich offensichtlich alle Koalitionspartner einigen konnten.