#Bundesregierung: Arbeitsmarktpolitische Irrlichterei

Es wird wieder gestritten. Diesmal geht es um die Verlängerung der Steuerbegünstigung für zusätzliche Überstunden. Die ÖVP will das unbedingt. Die SPÖ nicht. Aus guten Gründen. Die sprechen allerdings auch gegen das Steuer- und Abgabengeschenk Arbeiten im Alter. Weil Arbeiten im Alter arbeitsmarktpolitische Irrlichterei der Sonderklasse ist.

Hatmannsdorfer gegen Marterbauer. Die nächste Runde. Diesmal geht es um die Verlängerung der Steuerbegünstigung zusätzlicher Überstunden. Zur Erinnerung: Vor zwei Jahren – noch unter türkis-grün – wurde der Freibetrag für Überstundenzuschläge zeitlich befristet bis Ende 2025 von 120 auf 200 Euro und von 10 auf maximal 18 Stunden erhöht. Die zeitliche Befristung war eine Forderung von uns. Die damalige Arbeitsmarktsituation war von einem eklatanten Arbeitskräftemangel gekennzeichnet. Die ÖVP witterte ihre Chance nun eines ihrer Lieblingsprojekte – nämlich die dauerhafte Ausweitung der Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen – umzusetzen. Wir waren wenig begeistert. Im Abtausch gegen einen Schadenersatz für Teilzeitbeschäftigte bei Nichtinformation über ausgeschriebene Vollzeitstellen und befristet auf zwei Jahre stimmten wir schließlich zu. Mit der zeitlichen Befristung sollte auf arbeitsmarktpolitischer Entwicklungen reagiert werden können.

Und die Befristung mit Ende 2025 war goldrichtig. Denn die Arbeitsmarktlage hat sich inzwischen dramatisch geändert. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Österreich ist in einer hartnäckigen Krise. Und die steuerliche Attraktivierung von zusätzlichen Überstunden würde das Budget jährlich nicht nur rund 150 Mio. Euro – die nicht budgetiert sind – kosten, sondern auch die arbeitsmarktpolitische Situation verschärfen. In Krisenzeiten muss das Ziel schließlich sein, Überstunden eher zurückzufahren, um zusätzliche Menschen in Beschäftigung zu bringen und so Arbeitslosigkeit einzudämmen.

Die ÖVP sieht das natürlich wieder einmal anders. Als gäbe es kein Budgetproblem sollen auch weiterhin hunderte Millionen Euro an Steuerzuckerln für Überstunden ausgeschüttet werden. Klientelismus kostet. Und der ÖVP ist es das allemal wert. Mitten in der Krise arbeitsmarktpolitische Irrlichterei, wie wir sie von der ÖVP bestens kennen. Arbeitsmarktpolitisch so kontraproduktiv wie sinnlos. Aber das war der ÖVP bislang immer schon egal.

Bei Finanzminister Marterbauer beißt die ÖVP – zumindest vorerst – jedenfalls auf Granit. Das ist gut so. Und das ist auch absolut richtig. Er habe das Geld dafür schlichtweg nicht, sagt der Finanzminister. Und denkt sich wohl auch seinen Teil dazu.

So gut das Nein des Finanzministers in Sachen Überstunden auch ist. So schlecht ist seine nach wie vor bestehende, grundsätzliche Zustimmung zu einer weit größeren ÖVP-Irrlichterei, die noch mehr kostet und an arbeitsmarkt- und budgetpolitischer Verantwortungslosigkeit kaum mehr zu übertreffen ist. Komplett sinnlos, dafür umso teurer. Klassisch ÖVP eben.

Es geht um – der/die Leser:in wird es vielleicht bereits erraten haben – „Arbeiten im Alter“*, das Leib und Magen-Projekt von WKÖ-Mahrer und Seniorenbund-Korosec. Arbeiten neben der Pension soll – es wurde hierorts bereits berichtet – künftig steuerlich großzügig gefördert werden. Wer neben der Rente dazuverdient, soll für seinen Nebenjob nur noch 25 % Flat-Tax zahlen, sämtliche Sozialversicherungsbeiträge fallen weg. Ein ordentliches Zuckerl gibt’s auch für den Arbeitgeber – der spart sich die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge. Dem Budget – sprich Steuerzahler:in – kostet der Spaß 2026 rund 300 Mio. Euro, im Jahr 2027 bis zu 470 Mio. Euro. Ein weiteres Loch im Budget, das da gerissen wird. Geld, das nicht da ist und anderswo weit sinnvoller verwendet wäre. Das ist aber längst nicht alles. Wenn Menschen knapp über 65 einem Betrieb deutlich billiger kommen – warum sollte er dann noch 63- oder 64jährige an- bzw. einstellen? Damit wird die politische Zielsetzung, Arbeitnehmer:innen möglichst lange – möglichst bis zum regulären gesetzlichen Pensionsantrittsalter – in Beschäftigung zu halten, jedenfalls nicht unbedingt gefördert. Um nicht zu sagen sogar konterkariert. Also nicht nur budget-, sondern auch arbeitsmarktpolitisch reiner Holler.

Es gäbe also aus SPÖ-Sicht auch jede Menge guter Gründe ‚Arbeiten im Alter‘ – AiA – abzusagen. In Punkto arbeitsmarkt- und budgetpolitischem Voodoo steht AiA den Überstunden-Wünschen der ÖVP um Nichts nach. Im Gegenteil. AiA ist noch absurder, noch teurer, noch sinnloser, noch unnötigere Geldverschwendung.

AiA wird aber kommen. Als größte (!) Offensiv-Maßnahme zur Ankurbelung der Wirtschaft. Ja, ernsthaft. Kein Schmäh. Arbeiten im Alter wird uns aus der Krise führen. Bestimmt. Reine Irrlichterei. Teure Irrlichterei.

Was uns „Arbeiten im Alter“ allerdings schön vor Augen führt:

Es ist keineswegs so, als wäre kein Geld da.

Es ist keineswegs so, dass bei Klimaschutz, bei Familien, bei Arbeitslosen, bei Menschen mit Behinderung gespart werden muss.

Es ist keineswegs so, dass diese Regierung jetzt auf Teufel komm raus sparen müsse, weil die bösen Grünen ja in der Vergangenheit so gevöllert hätten.

Weil jährlich 500 Mio. Mehrausgaben aus dem Budget („Hebesätze“) in Folge der Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge ÖVP-SPÖ-NEOS interessanterweise genauso wenig schlaflose Nächte bereiten, wie die 200 Mio. Euro pro Jahr weniger Lohnsteuereinnahmen daraus.

Weil auch die 100 Mio. Mehrausgaben für Ausgleichsmaßnahmen der ÖGK für die KV-Erhöhung bei Pensionist:innen ganz offensichtliche kein Problem darstellen.

Und natürlich auch die 300 Mio. Euro Arbeiten im Alter 2026 und die 470 Mio. Euro 2027 locker leistbar sind, wenn man schon dabei ist.

Und Geld genug gibt’s natürlich auch für 70er Jahre-Straßenbauprojekte. Für Investitionsförderung. Und die Erhöhung der Pendlerpauschale. Und die NoVA-Senkung für dicke Brummer. Und, und, und … und am Ende vielleicht doch noch für ein Steuerzuckerl bei Überstunden?

Die Verantwortung dafür wird man den Grünen nicht mehr in die Schuhe schieben können. Das ist schon alles auf ganz speziell eigenem türkis-rot-pinken Mist gewachsen. Es ist, wie es ist. Eine Frage der Prioritätensetzung. Alles andere sind Ausreden.

*PS: Nur zur Klarstellung: Wer neben seiner/ihrer Pension arbeiten will, der/die soll das tun und können. Das ist nicht die Frage. Das machen bereits tausende Pensionist:innen. Was allerdings überhaupt nicht geht: Arbeiten neben der Pension steuerlich zu begünstigen und somit im Vergleich zu einem z.B. zweiten Teilzeitjob einer Alleinerzieherin steuerlich und abgabentechnisch besser zu stellen.