#Einige Fragen und Antworten zum neuen Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungs-Gesetz (LSD-BG)

Viel zu lasche Strafen? Lohn- und Sozialdumping  „im Angebot“? Abschaffung des Kumulationsprinzips? Viele Behauptungen schwirren aktuell in den sozialen Medien angesichts der Novellierung des Lohn- und Sozialdumping-Gesetzes herum. Glaubt man den Kommentaren in den sozialen Medien, war das Kumulationsprinzip eine wirkungsvolle Waffe gegen Lohn- und Sozialdumping während die neue Regelung Lohn- und Sozialdumping zum lohnenden Geschäft werden lässt. Nur: Stimmt das wirklich?
Viele Fragen und manche Kritik sind durchaus nachvollziehbar. Viele Behauptungen halten allerdings einem Realitycheck nicht wirklich stand und scheinen eher parteipolitisch als inhaltlich motiviert.
In diesem Beitrag versuchen wir,  auf einige, immer wieder auftauchende Fragen Antworten zu geben.

Warum war eine Novellierung des Lohn- und Sozialdumping-Gesetzes notwendig?

Das „alte“ Lohn- und Sozialdumpinggesetz (LSD-BG) war nach einer Vorabentscheidung des EuGH unanwendbar geworden. Der EuGH hat erkannt, dass „eine Regelung, die Sanktionen vorsieht, deren Höhe von der Zahl von der Nichteinhaltung bestimmter arbeitsrechtlicher Verpflichtung betroffenen Arbeitnehmer abhängt, für sich genommen nicht unverhältnismäßig“ sei, aber (unter anderem)

    • das Fehlen einer Obergrenze
    • die Festsetzung einer nicht unterschreitbaren Mindeststrafe

mit dem EU-Recht nicht vereinbar ist.

Absurderweise wurde diese Vorabentscheidung gefällt, als zum ersten und praktisch auch einzigen Mal ein Fall schlagend wurde , in dem die Vorteile des Kumulationsprinzips – nämlich die Aufsummierung der Strafen je Arbeitnehmer*innen – zur Geltung kamen. Kaum entfaltete das Kumulationsprinzip einmal – ausnahmsweise – seine Wirkung, wurde  es auch schon de facto als hinsichtlich der Strafe „unverhältnismäßig“ aufgehoben und kam in Folge nicht mehr zur Anwendung.

Welche Folgen hatte der EUGH-Vorabentscheid?

Weil nicht mehr nach dem „alten“ LSD-BG gestraft wurde, beliefen sich die Strafen aktuell auf ca. 10.000 Euro je Fall (unabhängig von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer*innen und nur für den Fall, dass die Regelung von der Behörde nach der EuGH-Entscheidung überhaupt angewandt wurde). Verstöße gegen das LSD-Gesetz wurden also kaum mehr geahndet, eine Überarbeitung des Strafsystems musste also unbedingt stattfinden. Zusätzlich drohten Strafen seitens der EU, weil sich die politisch Verantwortlichen – die zuerst FPÖ- dann ÖVP-Arbeitsminister*innen zu lange Zeit gelassen haben, das Gesetz zu reparieren. und dass zusätzlich die ÖVP nie ein Freund des Kumulationsprinzips war, ist auch bekannt. Der EUGH-Vorabentscheid wurde wohl  mit Freude entgegengenommen.

Warum wurde das Kumulationsprinzip abgeschafft?

Das Kumulationsprinzip ist bzw. war bereits de facto abgeschafft. Ganz ohne Zutun der Regierung. Mit dem Entscheid des EUGH wurden keine Strafen mehr nach dem Kumulationsprinzip verhängt. Die Höchststrafen – soweit sie aktuell überhaupt verhängt werden – belaufen sich derzeit – wie bereits erwähnt – auf rund 10.000 Euro.

Es war und ist unter Jurist*innen zusätzlich durchaus umstritten, ob der EUGH-Vorabentscheid eine grundsätzliche Absage an das Kumulationsprinzip war oder ob ein „reformiertes“ Kumulationsprinzip noch möglich gewesen wäre (das zeigt sich auch in den Stellungnahmen im Rahmen des Begutachtungsverfahren). Jedenfalls wäre eine  Begrenzung der Strafen notwendig geworden, weil der EUGH eine „Verhältnismäßigkeit“ der Strafen eingefordert hatte. Die Millionenstrafen waren jedenfalls – trotz Betroffenheit verhältnismäßig vieler Beschäftigter – „unverhältnismäßig“. Ein Kumulationsprinzip mit Höchststrafen macht allerdings nur wenig Sinn – lebt das Kumulationsprinzip doch geradezu davon, dass es eben keine Höchststrafen gibt sondern eben nach oben hin offen ist. Deshalb ist es tatsächlich fraglich, ob eine Beibehaltung des Kumulationsprinzips zulässig bzw. möglich gewesen wäre.

Tatsächlich finden sich im novellierten LSD_BG allerdings durchaus Elemente, die dem Kumulationsprinzip entsprechen, indem Strafhöhen abhängig von der Zahl der Betroffenen und der Höhe des verursachten Schadens entsprechen. Die Rechtsanwaltskammer schreibt in ihrer Stellungnahme im Rahmen der Begutachtung etwa:

„Die Strafdrohung hinsichtlich der Unterentlohnung an deren Ausmaß zu koppeln, stellt einen gewissen Kompromiss zwischen dem Grundgedanken des Kumulationsprinzips und dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit dar.“

Sind die Strafen nicht zu gering, um wirkungsvoll gegen Lohn- und Sozialdumping vorzugehen? Wäre eine Beibehaltung des Kumulationsprinzips nicht besser gewesen, um abschreckend zu wirken?

Diese Behauptung hält sich tatsächlich hartnäckig, hält einer Überprüfung allerdings nicht stand. Es ist nämlich tatsächlich relativ egal, wie hoch der fiktive Strafrahmen sein könnte, wenn dieser regelmäßig nicht ansatzweise ausgeschöpft wird. Dann verliert er auch seine abschreckende Wirkung.

Und von einer Ausschöpfung des Strafrahmens in der Vergangenheit kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Überraschenderweise waren die Strafen trotz (oder wegen?) des Kumulationsprinzips überraschen niedrig.

Die große Mehrheit der Fälle im Bereich des Lohn- und Sozialdumpings – nämlich über 90 % – betrafen weniger als fünf Arbeitnehmer*innen. Fälle mit über 50 betroffenen Arbeitnehmer*innen treten so gut wie gar nicht auf. Obwohl das alte Lohn- und Sozialdumpinggesetz pro betroffenen Arbeitnehmer*in Strafen von jeweils bis zu 10.000 bzw. 20.000 Euro vorsahen fielen die real verhängten Strafen auch vor der EuGH-Entscheidung sehr mickrig aus:

    • Unterentlohnung wurde durchschnittlich je Fall (unabhängig der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer*innen) mit 7.939 Euro bestraft. Die durchschnittliche Strafe pro betroffener Arbeitnehmerin betrug 2.873 Euro.
    • Die Nichtbereithaltung von Unterlagen wurde je Fall mit 4.136 Euro bestraft.
    • Bei Vereitelung der Finanzpolizei-Kontrolle fielen durchschnittliche Strafen von 3.661 Euro an.
    • Bei verweigerter Einsichtnahme in Unterlagen wurde im Durchschnitt mit 5.290 Euro

(Siehe Anfragebeantwortung vom 22. November 2019)

Tabelle: Rechtskräftige Verurteilungen und Strafen aufgrund Unterenlohnung – Fälle und betroffene Arbeitnehmer*innen, im Zeitraum von 01.05.2011 bis 31.08.2019 (!), aus der Anfragebeantwortung 4162/AB XXVI. GP

Das Kumulationsprinzip hat in der Praxis also nicht annähernd erfüllt, was erhofft wurde – und heute immer noch behauptet wird.

Vergleicht man die tatsächlich verhängten Strafen mit dem Strafrahmen im neuen Lohn- und Sozialdumpinggesetz, so wirkt dieser nicht minder abschreckend und betragen die möglichen Strafen ein Vielfaches der tatsächlich verhängten Sanktionen unter dem „alten“ LSD-BG-Regime. Das neue Lohn- und Sozialdumpinggesetz sieht

    • Unterentlohnung wird mit einem Strafrahmen von bis zu 400.000 Euro bei besonders schwerwiegenden Fällen bestraft (Lohnunterschreitung von über 40 %) und orientiert sich sonst entlang des entstandenen Schadens (Differenz zwischen Lohnanspruch und Unterentlohnung) zwischen 50.000 und 250.000 Euro. Selbst der niedrigste Strafrahmen – wenn die Schadenssumme weniger als 20.000 Euro beträgt und im betroffenen Betrieb max. 9 Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind – beträgt die Strafe bis zu 20.000 Euro. Auch das noch das fast dreifache der durchschnittlich verhängten Strafe im LSD-alt.
    • Bei verweigerter Übermittlung der Unterlagen beträgt die Strafe bis 40.000 Euro
    • Bei Verweigerung des Zutritts zu Betriebsräumen und –stätten beträgt die Strafe ebenfalls bis zu 40.000 Euro.
    • Arbeitgebern, welche die Einsicht in Unterlagen verweigern droht ebenso eine Strafe bis zu 40.000 Euro.
    • Wer seine Lohnunterlagen nicht bereithält wird im Ernstfall mit bis zu 20.000 Euro, im Wiederholungsfall mit bis zu 40.000 Euro bestraft.

Der neue Strafrahmen erlaubt also real mindestens ebenso hohe Strafen, wie das alte Kumulationsprinzip. Der Strafrahmen bei Unterentlohnung der sich an der Schadenssumme orientiert, macht in der Realität höhere Strafen bei diesem Sachverhalt wahrscheinlich.

Sind die Strafen nicht trotzdem zu niedrig?

Natürlich sind hohe Strafen abschreckender als niedrige. Nur – wie bereits erwähnt – müssen hohe Strafen überhaupt erst einmal verhängt werden, bzw. der mögliche Strafrahmen ausgeschöpft werden. Und das war nicht der Fall. Die Verwaltungsbehörden haben durchgängig nur niedrige Strafen verhängt.

Vergleicht man die Strafen im neuen Lohn- und Sozialdumpinggesetz mit Deutschland, so sind diese ähnlich gelagert:

    • Lohnunterschreitungen werden in Deutschland mit bis zu 500.000 Euro gestraft – in Österreich mit bis zu 400.000 Euro.
    • Wer das Betreten der Betriebsstätten verweigert, Die Einsicht in Unterlagen verweigert, die Lohnunterlagen nicht bereithält, Daten nicht oder unvollständig übermittelt usw. wird mit bis zu 30.000 Euro bestraft. In Österreich mit bis zu 40.000 Euro.

Wir finden uns also betreffend der Strafen, des Strafrahmens und des Strafsystems durchaus in „guter Gesellschaft“.

Hat sich seit der Begutachtung am Gesetzesentwurf noch etwas geändert?

Ja. Abgesehen von ein paar Begriffsklärungen wurden die Strafhöhen auf Grünen Druck noch verändert – sprich erhöht.

    • Der Strafrahmen im Zusammenhang mit Vereitelungshandlungen wurden von 20.000 auf 40.000 Euro erhöht.
    • Wer wiederholt Lohnunterlagen nicht bereithält bzw. übermittelt wird ebenfalls mit bis zu 40.000 Euro bestraft.
    • Der Strafrahmen von bis zu 400.000 im Falle von Unterentlohnung kann künftig verhängt werden, wenn die Unterentlohnung über 40 % statt wie vorgesehen über 50 % beträgt.
Ist es für Unternehmen billiger, Kontrollen zu vereiteln oder die Herausgabe von Unterlagen zu verweigern, um einer Strafe wegen Unterentlohnung zu entgehen?

Nein, ist es nicht. Eine Vereitelung von Kontrollen oder die Verweigerung der Herausgabe von Unterlagen führt lediglich dazu, dass eine zusätzliche Strafe verhängt wird. Das eigentliche Verfahren wegen des Verdachts auf Unterentlohnung wird aber deshalb ja nicht ersetzt oder eingestellt. Dennoch werden wir selbstverständlich beobachten, ob es signifikante Veränderungen beim Delikt Vereitelung oder Nichtbereithaltung von Unterlagen gibt. Aber wie gesagt: Handlungen wie Vereitelung oder Nichtbereithaltung führen zu einer zusätzlichen Strafe, nicht zu einem Ersatz des eigentlichen Verfahrens wegen Unterentlohnung.

Wie ist das neue LSD-BG schließlich zu bewerten?

Selbstverständlich wissen auch wir, wo wir uns gezieltere Bestimmungen vorstellen, also wo wir uns nicht so durchsetzen konnten, wie wir es für nötig halten. Dennoch werden nach diesem Gesetz zukünftig höhere Strafen leichter möglich, als nach dem alten LSD-BG. Diese Wirkung ergibt sich schlicht aus den Strafgrenzen bzw. dem Strafrahmen bei den unterschiedlichen Schadenshöhen, die eine entsprechende Orientierung bieten sollen. Das Kumulationsprinzip hat das leider nicht geschafft.

Angesichts fehlender Mehrheiten für ein LSD-Gesetz mit schärferen und höheren Strafbedingungen, halten wir es für einen Erfolg, dass wir überhaupt ein funktionsfähiges Strafsystem durchsetzen konnten, das es angesichts der bestehenden Rechtslage und de-facto nicht Anwendung des alten LSD-BG – mit deutlich höheren Strafbestimmungen als ursprünglich vorgesehen.

Und es ist klar, dass auch dieses System beobachtet und evaluiert – und auch entsprechend angepasst werden muss, wo erforderlich.