#FPÖVP und die Sozialhilfe: Ritze, Ratze, voller Tücke … (I)

… ins Sozialsystem `ne Lücke! Ja, und was für eine. Das geleakte blau-schwarze Koalitionspapier hat’s in sich. Vom letzten sozialen Netz – der Sozialhilfe – bleibt kaum mehr was übrig. Dafür will die ÖVP endlich ihre „Arbeitsmarktreform“ umsetzen und die abgeschaffte Notstandshilfe mit der kaum mehr existenten Sozialhilfe zusammenführen. Absurd? Zynisch? Menschenverachtend? Entwürdigend? Ja. Blau-Schwarz halt, wie zu erwarten. Schauen wir’s uns zuallererst die Pläne mit der Sozialhilfe genauer an …

Sozialhilfe: Kürzen, bis nichts mehr da ist

Schon unter Kurz-Strache wurde die Mindestsicherung zur Sozialhilfe NEU zusammengestutzt. Die maximale Höhe wurde gedeckelt, Kinderzuschläge unzulässig gestaffelt, der Bezug an Sprachkenntnisse gekoppelt, Bedarfsgemeinschaften „eigenwillig“ definiert und, und, und … der Verfassungsgerichtshof hob Kinderzuschläge und Sprachkenntnisse als verfassungswidrig auf, Wien weigerte sich überhaupt die Sozialhilfe neu umzusetzen, wir konnten als Grüne mehrere „Giftzähne“ ziehen. Was blieb war ein Fleckerlteppich, uneinheitliche Regelungen, ein Gerüst, nicht mehr. Jetzt soll reiner Tisch gemacht werden. Ritze-Ratze. Einmal mehr dient als Vorwand, „Einwanderung ins Sozialsystem“ zu beenden, „Fehlanreize“ zu beseitigen, dem „Füllhorn“ über Zuwanderer-Großfamilien ein Ende zu bereiten. Mit dem Zielen auf Ausländer lässt sich trefflich Stimmung machen. Getroffen werden allerdings – Alle. Ohne Ausnahme. In einer bislang nicht da gewesenen Härte.

    • Sozialhilfe soll künftig nur erhalten, wer zuvor mehrere Jahre in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis war. Für alle anderen wird die Sozialhilfe um 50 % gekürzt. Von einer Leistung, die ohnehin bereits jetzt unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt. Ein Überleben ist so kaum möglich. Und es trifft alle: Zuwander:innen ebenso wie Menschen mit Behinderungen, Jugendliche ohne Job oder Menschen die aus gesundheitlichen, psychischen – welchen Gründen auch immer – noch keinen Berufseinstieg geschafft haben. Wovon diese Menschen künftig leben sollen, bleibt unbeantwortet.
    • Für erwerbsfähige Sozialhilfebezieher:innen soll es künftig die Bezahlkarte geben. Wie zu erwarten: Aus dem Testlauf für „Ausländer:innen“ wird nun eine Regelung für alle Sozialhilfebezieher:innen. Bezahlkarte heißt immer, dass der Zugang zu Leistungen und Produkten beschränkt ist. Dass ‚der Staat‘ entscheidet, was man sich leisten darf, was nicht. Was in rechten Kreisen sonst zu heller Aufregung führt (von „Verbotspartei“ über „Freiheitsberaubung“ und „Entmündigung“ bis hin zu „Kommunismen“ und „Totalitarismen“ aller Art) soll für Arme selbstverständlich sein: Nämlich die Begrenzung von frei verfügbarem „Bargeld“ und damit ein massiver Eingriff in persönliche Lebensverhältnisse und Entscheidungen. Und das ausgerechnet von einer Partei, die sonst wie keine andere für die „Freiheit“ Bargeld zu besitzen und unbegrenzt verwenden zu dürfen, kämpft. Nach oben buckeln, nach unten treten. Allgemein gültiges Prinzip rechter Politik. Auch hier konsequent umgesetzt. Da weicht die helle Aufgeregtheit der freudigen Erregtheit.
    • Transferleistungen wie die Familienbeihilfe oder die Krankenversicherung, sollen künftig auf die Sozialhilfe angerechnet werden. Die Verfassungskonformität bzw. Zulässigkeit einer derartigen Regelung darf getrost bezweifelt werden, handelt es sich doch bei der Familienbeihilfe nicht um Einkommen sondern um eine einkommensunabhängige Leistung die den Zweck der Unterstützung von Familien mit Kindern hat. Völlig unklar ist, was mit der Anrechnung der Krankenversicherung gemeint sein soll. Wird künftig der Beitrag aus dem Budget den Sozialhilfebezieher:innen abgezogen? Oder Leistungen aus der Krankenversicherung? Wie auch immer, auch wenn diese Maßnahme vermutlich nicht halten wird: Die Anrechnung von Transferleistungen auf die Sozialhilfe stellt vorerst einmal eine weitere Kürzung im letzten sozialen Netz – vor dem Totalabsturz – dar.
    • Und eine weitere Kürzung: Bislang sind Sozialhilfe und Ausgleichszulage – also die haushaltsbezogene Mindestpension – gleich hoch und werden auch jährlich gleichermaßen erhöht. Die Ausgleichszulage ist wie die Sozialhilfe eine Maßgröße, die Armut vermeiden soll. Und es ist natürlich sinnvoll, wenn es ein einheitliches „Armutsmaß“ gibt. Der ÖVP war das seit jeher ein Dorn im Auge. Nicht einmal wollte sie die Erhöhung der Sozialhilfe von der Ausgleichszulage entkoppeln – was zur Folge hätte, dass es plötzlich zwei unterschiedliche Armutsmaße für Haushalte gibt. Vollkommen absurd. Dafür eine Bösartigkeit mehr, die armen und armutsgefährdeten Menschen das (Über)Leben schwer macht. Darum steht die Entkoppelung der Erhöhung von Sozialhilfe und Ausgleichszulage im blau-schwarzen Verhandlungspapier. Europarechtskonform ist sie eher nicht.
    • Zuletzt die Kindersätze in der Sozialhilfe: Hier orientieren sich FPÖ und ÖVP – Überraschung, Überraschung – ganz an Oberösterreich und Niederösterreich. Die Kindersätze werden „degressiv“ gestaltet, sie sinken also je zusätzlichem Kind – von beginnend bei 25 % des Richtsatzes (aktuell rund 302 Euro) bis 12 % (145 Euro). Was nicht kommt: Die Entkoppelung der Grundsicherung für Kinder von der Sozialhilfe insgesamt. Was damit – trotz Kürzungen, trotz geplanter Anrechnung der Familienbeihilfe und Vereinheitlichungen – bleibt: Die Neiddiskussion. Aber vielleicht ist diese ja auch durchaus erwünscht.
Auszug aus dem geleakten FPÖ-ÖVP-Verhandlungsprotokoll.

Das letzte soziale Netz wird also weiter zerrissen, statt generalsaniert und grundlegend neu aufgesetzt, was tatsächlich notwendig wäre. Trampolin zurück in die finanzielle Eigenständigkeit wird die Sozialhilfe so keine. Und auch wenn im Programm die Abwicklung der Sozialhilfe über das AMS „geprüft“ werden soll, ist angesichts der Erfahrungen mit FPÖ und ÖVP zu befürchten, dass eher Sanktionen und Sperren statt Bildung und Qualifizierung im Mittelpunkt des Interesses stehen. Was es statt des blau-schwarzen Kahlschlages tatsächlich für ein modernes, armutsfest(er)es Netz brauchen würde:

    • Eine eigenständige Kindergrundsicherung, die familienpolitische Leistungen wie Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und Familienbonus zusammenführt und vereinheitlicht und neben finanziellen auch „Sach“-Leistungen – von ganztägiger, qualitativ hochwertiger Betreuung über kulturelle und sportliche Angebote bis hin zu leistbarer Mobilität – anbietet.
    • Eine stärkere Einbeziehung erwerbsfähiger Sozialhilfebezieher:innen in das AMS und seine Leistungen mit einer entsprechenden finanziellen Absicherung aber auch Beratung, Betreuung und Begleitung, weil Problemlagen von Sozialhilfebezieher:innen oft vielfältig sind (Arbeitslosigkeit, Schulden, Trennung, drohende Wohnungslosigkeit, gesundheitliche und psychische Probleme …) und eine rasche Rückkehr ins „normale Leben“ erschweren.
    • Die Übernahme nicht erwerbsfähiger Erwachsener in die Pensionsversicherung mit all ihren Leistungen (wie z.B. Reha-Geld).
    • Und schließlich – wie schon erwähnt – Beratung, Begleitung, Hilfe und Betreuung von Menschen in der Sozialhilfe in ihren unterschiedlichsten Problemlagen. Unabhängig ob Kind, ob erwerbsfähig oder nicht.

Davon ist blau-schwarz weit entfernt. Dafür braucht es progressive Mehrheiten.

Dafür braucht es Empathie, wie auch soziale und ökonomische Vernunft die sich nicht in kursichtigem Geplärr nach Steuer- und Lohnnebenkostensenkungen erschöpft sondern perspektivisch mittel- und langfristig denkt.

Dafür braucht es eine ÖVP, die zuletzt doch noch vom Verhandlungstisch mit der FPÖ aufsteht und ihren Klientelismus, ihren Sozi-Hass und Grünen-Frust zugunsten unserer Demokratie, unseres Europas und unserer gemeinsamen Zukunft überwindet.

Ob sie den ‚Umkehrschwung‘ noch schafft? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt …

Demnächst Teil II: Was im Bereich Arbeitslosenversicherung droht