#„Valorisierung“ der Sozialleistungen: Fragen und Antworten zum Was, Wann und Wie

Am 15. Juli ist ein Gesetzesentwurf zur Valorisierung der Sozialleistungen in Begutachtung gegangen, der noch im Herbst beschlossen werden und mit 1. Jänner 2023 in Kraft treten soll. Künftig werden (fast) alle Sozial- und Familienleistung jährlich valorisiert, also um die Inflation angepasst. Mit dieser Maßnahme soll der „Wert“ – also die Kaufkraft – der jeweiligen Transferleistung erhalten bleiben. Was Sozialverbände seit Jahren und Jahrzehnten gefordert haben, wird nun endlich umgesetzt. Ein wichtiger Schritt zur Sicherung des Sozialstaats und seiner Leistungen.

Weil einige Fragen und Unklarheiten zur Valorisierung bestehen und auch Irrtümer und Falschmeldung in den sozialen Medien herumschwirren, hier einige Antworten auf immer wieder gestellte Fragen über das was, wann und wie rund um die kommende Indexierung der Sozial- und Familienleistungen.

Frage 1: Welche Sozialleistungen werden ab 1. Jänner 2023 valorisiert?

Ab 1. Jänner 2023 werden

    • das Umschulungsgeld
    • das Krankengeldes
    • das Rehabilitationsgeld
    • das Wiedereingliederungsgeld
    • die Familienbeihilfe, der Mehrkindzuschlag und der Kinderabsetzbetrag
    • das Kinderbetreuungsgeld und der Familienzeitbonus
    • die Studienbeihilfe, die Studienbeihilfe nach Selbsterhalt sowie das Studienabschluss-Stipendium

um den sog. „Anpassungsfaktor“ (siehe weiter unten) jährlich valorisiert.

Frage 2: Moment, und was ist mit den Pensionen, Pflegegeld und der Sozialhilfe, die fehlen in dieser Auflistung doch?

Aus gutem Grund, denn

    • Pensionen, Renten darunter auch die Ausgleichszulage („Mindestpension“)
    • Mindestsicherung und Sozialhilfe (orientieren sich an Höhe der „Mindestpension“)
    • und das Pflegegeld

werden bereits laufend – also jährlich – valorisiert bzw. „wertgesichert“. Die jährliche Erhöhung der Pensionen um den „Anpassungsfaktor“ ist bereits Gesetz und findet auch regelmäßig statt. Seit 2020 wird auch das Pflegegeld jährlich indexiert, auch hier ist keine Neu-Regelung notwendig.

Gleiches gilt für Mindestsicherung und Sozialhilfe: BMS und Sozialhilfe orientieren sich hinsichtlich ihrer Höhe aber auch ihrer jährlichen Erhöhung an der Ausgleichszulage – so etwas wie die haushaltsbezogene Mindestpension. In den letzten Jahren fiel die Anhebung von Mindestpension und Sozialhilfe/Mindestsicherung deutlich höher als der „Anpassungsfaktor“ aus.

Frage 3: Was ist der Anpassungsfaktor?

Der Anpassungsfaktor ist die Inflationsrate, die der Erhöhung von Sozialleistungen und Pensionen zugrunde gelegt wird. Die Berechnung sowie die Verlautbarung des Anpassungsfaktor ist gesetzlich § 108 Abs. 5 ASVG und § 108f ASVG geregelt.

    • Basis des Anpassungsfaktors ist die durchschnittliche Erhöhung der Verbraucherpreise – also die Inflation – in den zwölf Kalendermonaten bis zum Juli des laufenden Jahres. Heranzuziehen ist dabei in der Regel der Verbraucherpreisindex.
    • Aus dem Berechnungszeitraum – also im aktuellen Falle die monatlichen von Statistik Austria veröffentlichten Inflationsraten von August 2021 bis Juli 2022 – wird das arithmetische Mittel berechnet. Beläuft sich die durchschnittliche Inflation z.B. auf 4 %, dass beträgt der Anpassungsfaktor 1,06. Eine Pension von z.B. 1.000 Euro/Monat würde ab 1. Jänner 2023 um 60 Euro monatlich auf 1.060 Euro erhöht (Pension multipliziert mit Anpassungsfaktor).
    • Der Anpassungsfaktor, um den Sozialleistungen und Pensionen angehoben werden, ist bis spätestens 30. November vom Sozialministerium per Verordnung festzusetzen.

Einen gewissen Spielraum hat die Bundesregierung bzw. der Gesetzgeber: So war es in der Vergangenheit immer wieder üblich, niedrige Pensionen über den Anpassungsfaktor hinaus anzuheben, die Erhöhung sehr hoher – oder Mehrfachpensionen – gleichzeitig mit einem maximal zulässigen Höchstbetrag zu „deckeln“.

Die „Deckelung“ ist allerdings nicht unbegrenzt bzw. dauerhaft möglich, das sie mit dem Prinzip der „Werthaltung“ von Versicherungsleistungen – und Pensionen sind bekanntlich Versicherungsleistungen“ – in Konflikt gerät.

Frage 4: Warum wird um die zurückliegende Inflation erhöht und nicht um die laufende bzw. erwartete?

Eine Frage, die immer wieder gestellt wird: Was bringt eine Pensionserhöhung von 1,8 bzw. 3 %, wenn die Inflation inzwischen bei 7 %, 8 % oder sogar mehr liegt?

Tatsächlich werden Pensionen und Sozialleistungen wie etwa auch Löhne und Gehälter im Nachhinein um die Inflation erhöht. Im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen – also den jährlichen Lohnrunden zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern – wird immer die Inflation des Vorjahres abgegolten. Zuallererst wird darüber gestritten, wie hoch die Inflation überhaupt ausgefallen ist, also welche Inflationsrate der Lohnverhandlung zugrunde gelegt wird. Zusätzlich zur Inflation wird noch der Produktivitätsfortschritt abgegolten – grob gesagt also der Anteil der Arbeitnehmer:innen an der wirtschaftlichen Entwicklung der Branche.

Ein einfacher Grund ist letztlich darin zu finden, dass die künftige Inflationsentwicklung schlichtweg nicht bekannt ist und nur abgeschätzt werden kann. Das heißt deswegen allerdings noch lange nicht, dass bei einer massiven Teuerung, wie wir sie aktuell erleben, nichts getan werden kann oder nichts getan wird. Im Gegenteil wurden bereits Sofortmaßnahmen beschlossen, bereits ausbezahlt oder werden in den nächsten Wochen und Monaten ausgezahlt: Pensionist:innen mit einem Einkommen zwischen 1.200 und 1.800 Euro bekommen etwa alleine durch das Anti-Teuerungspaket III 1.000 Euro an Unterstützung gegen die massive Inflation. Mindestpensionist:innen erhalten 2022 Hilfen im Umfang von zumindest 1.100 Euro (Teuerungsausgleich 600 Euro, erhöhter Klimabonus 500 Euro, ohne Energiekostenausgleich und Abgabensenkungen auf Strom und Gas). Die Sofortmaßnahmen in Form von Einmalzahlungen entsprechen einer vorweggenommenen Pensionserhöhung für 2022 von rund 7,6 %.

Die „nachhaltig“ wirkende Pensionserhöhung um den Anpassungsfaktor erfolgt mit 1. Jänner 2023, wie gesetzlich vorgesehen.

Frage 5: Reicht die Valorisierung, um unser Sozialsystem armutsfest zu machen?

Die Valorisierung ab 1. Jänner ist ein wichtiger Schritt, die laufende „Entwertung“ von Sozial- und Familienleistungen einzudämmen. Sie macht unser Sozialsystem deswegen allerdings noch nicht „armutsfest“. Dazu müssen insbesondere die Sozialhilfe/Mindestsicherung – als letztes soziales Netz – deutlich auf die Armutsgefährdungsschwelle angehoben werden. Mit der überdurchschnittlichen Erhöhung der Mindestpension – und damit auch der Sozialhilfe – um 3,6 bzw. 3 % in den Jahren 2021 und 2022 konnten wichtige Schritte zu einer Erhöhung der Sozialhilfe gesetzt werden. Auch konnten auf grüne Initiative der türkis-blauen Sozialhilfe „neu“ Giftzähne gezogen und Verbesserungen für Sozialhilfe-Bezieher:innen erreicht werden. Einiges konnten wir bereits erreichen – es braucht aber noch mehr, keine Frage.

Frage 6: Warum werden nicht auch Arbeitslosengeld und Notstandshilfe valorisiert?

Vor allem die laufende Wertsicherung der Notstandshilfe ist uns Grünen ein besonderes Anliegen, das wir auch bereits in den Verhandlungen zur Valorisierung der Sozialleistungen eingebracht haben. Damit konnten wir unsnoch nicht durchsetzen, da die ÖVP die Valorisierung mit der geplanten Arbeitsmarktreform verhandeln will. Ob es zu dieser tatsächlich kommen wird, ist noch höchst ungewiss, weil die Positionen zwischen ÖVP und Grünen – insbesondere bei der Frage der Ausgestaltung und Höhe des Arbeitslosengeldes, der Notstandshilfe und der Zuverdienstmöglichkeiten – weit auseinander liegen.

Die Nicht-Valorisierung insbesondere der Notstandshilfe stellt ein hohes Armutsgefährdungsrisiko dar, insbesondere bei hohen Inflationsraten wie wir sie aktuell erleben. Dass vorherige Regierungen nichts unternommen haben, Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung besser gegen Armut abzusichern ist beschämend, macht die aktuelle Situation aber nicht besser. So erfreulich es ist, dass so gut wie alle Sozial- und Familienleistungen künftig valorisiert werden – es braucht auch die Valorisierung von so wichtigen „Versicherungsleistungen“ wie der Notstandshilfe. Wir werden da jedenfalls dran bleiben.

Und wer es noch besonders genau wissen will: Der Gesetzestext zum Anpassungsfaktor:

    • 108 Abs. 5

(5) Anpassungsfaktor: Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat jedes Jahr für das folgende Kalenderjahr den Anpassungsfaktor (§ 108f) bis spätestens 30. November eines jeden Jahres durch Verordnung festzusetzen. Die Verordnung ist der Bundesregierung zur Zustimmung vorzulegen. Der Anpassungsfaktor ist, soweit nichts anderes bestimmt wird, für die Erhöhung der Renten und Pensionen und der leistungsbezogenen festen Beträge in der Sozialversicherung heranzuziehen.

….

    • 108f ASVG

(1) Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat für jedes Kalenderjahr den Anpassungsfaktor unter Bedachtnahme auf den Richtwert festzusetzen.

(2) Der Richtwert ist so festzusetzen, dass die Erhöhung der Pensionen auf Grund der Anpassung mit dem Richtwert der Erhöhung der Verbraucherpreise nach Abs. 3 entspricht. Er ist auf drei Dezimalstellen zu runden.

(3) Die Erhöhung der Verbraucherpreise ist auf Grund der durchschnittlichen Erhöhung in zwölf Kalendermonaten bis zum Juli des Jahres, das dem Anpassungsjahr vorangeht, zu ermitteln, wobei der Verbraucherpreisindex 2000 oder ein an seine Stelle tretender Index heranzuziehen ist. Dazu ist das arithmetische Mittel der für den Berechnungszeitraum von der Statistik Austria veröffentlichten Jahresinflationsraten zu bilden.