#Wovon Deutsche Gewerkschafter:innen „träumen“

„Der Prophet gilt wenig im eigenen Land“. Eine Redewendung, die u.a. zum Ausdruck bringt, dass Errungenschaften bzw. Erfolge oft genug nicht die Anerkennung finden, die ihnen eigentlich zustehen würden. Übertragen auf die Politik heißt das nur allzu oft: Während im „eigenen Land“ getroffene Maßnahmen – etwa im sozial- oder umweltpolitischen Bereich – oft genug aus rein parteipolitischem Interesse runtergemacht oder bestenfalls ignoriert werden, ist die Sichtweise „außenstehender“ Beobachter:innen oft eine gänzlich andere. Nämlich eine ausgesprochen wertschätzende.

Diese Erfahrung durften wir – Ralph Schallmeiner und ich als grüne Abgeordnete im Bereich Gesundheit, Arbeit und Soziales gemeinsam mit unseren Mitarbeiter:innen bei einem Besuch beim Deutschen Gewerkschaftsbund – dem DGB machen. Wir trafen uns dort mit Evelyn Räder und Markus Hofmann, Abteilungsleiter:innen für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) um uns über die schwierige Situation der Industrie, den Fortgang der ökologischen Transformation, die Rolle der deutschen Gewerkschaften in diesem Prozess und die Arbeitsmarktlage insgesamt auszutauschen.

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Industrie: Fehler der Vergangenheit die sich bitter rächen …

Die wirtschaftliche und politische Situation in Deutschland und Österreich sind sich nicht unähnlich: Die Industrie befindet sich in einer tiefen Strukturkrise, Wachstumsraten bleiben im Vergleich zum EU-Schnitt zurück. Die Stimmung ist alles andere als optimistisch. Die deutsche Industrie hat – wie auch die österreichische – über Jahrzehnte hindurch notwendige Transformationsmaßnahmen verschlafen und lieber Milliarden an Gewinnen an ihre Eigentürmer  ausgeschüttet, die es stattdessen dringend für ‚grüne‘ Investitionen und die ökologische Modernisierung gebraucht hätte. Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und daraus resultierende hohe Inflationsraten haben den Wirtschaftsstandort hier wie dort zusätzlich stark getroffen. Kolossale Managementfehler der Vergangenheit, die nun die Beschäftigten ausbaden müssen. Egal ob beispielsweise bei Thyssen-Krupp oder VW in Deutschland oder bei KTM in Österreich.

… aber auch Erfolge

Es sein in Deutschland aber auch einiges gelungen, führten die Gewerkschaftskolleg:innen aus: Der Kohleausstieg etwa – ein gewaltiger Prozess ökologischen Wandels für Tausende Beschäftigte und Betroffene ganzer Regionen – durchaus erfolgreich. Auch sei der Weg der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität inzwischen unumkehrbar geworden. Im Gegensatz zu Österreich gibt es auch seitens der deutschen Industrie ein klares Bekenntnis dazu: In einem gemeinsamen Positionspapier fordern DGB und Bund deutscher Industrieller (BDI) bis 2030 Investitionen von 1,4 Billionen (!) Euro – davon rund 500 Mrd. Euro als öffentliche Ausgaben – in den ökologischen Wandel und den Infrastrukturausbau. Für die DGB-Expert:innen unausweichlich: Die Schuldenbremse wird gelockert werden müssen, soll der Industriekrise in Deutschland erfolgreich begegnet werden können. Nicht zuletzt die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Corona-Sondervermögen nicht in einen Klimatransformationsfonds für die deutsche Wirtschaft überführen zu dürfen, sei wesentlich mitverantwortlich für die Wirtschaftskrise, die schlechte Stimmung und den Rechtsruck in Politik und Gesellschaft gewesen. Das hätten inzwischen auch Teile de CDU-verstanden. So zumindest die Hoffnung der deutschen Gewerkschafter:innen.

Viel Lob für grüne Initiativen in Österreich

Ausdrückliches Lob und Anerkennung gab es für Österreich: Besonders beeindruckt zeigten sich die DGB-Expert:innen vom österreichischen Transformationsfond Industrie, der federführend vom grünen Klimaministerium verhandelt wurde. Im Rahmen der Transformationsoffensive werden für die nächsten Jahre rund drei Mrd. Euro für den klimaneutralen Umbau der österreichischen Industrie bereit gestellt. Ein wichtiger Beitrag nicht nur zur Senkung der CO“-Emissionen sondern auch zur Sicherung des Industriestandorts. Wesentliches grünes Anliegen war dabei, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Erstellung der betrieblichen Transformationspläne, die Voraussetzung für Umweltförderungen sind, abzusichern. Vorbildhaft für die deutschen Gewerkschaftskolleg:innen, hat die Belegschaft doch verbriefte Informationsrechte, Mitwirkungsrechte bei Qualifizierungs- und Bildungsmaßnahmen und ist in der Transformationsoffensive doch de facto eine Standortgarantie verankert. Rechte, von denen die deutschen Gewerkschaften aktuell „nur träumen“ könnten.

Und: während in Österreich die de facto Abschaffung der Bildungskarenz bei den aktuellen Koalitionsverhandler:innen bereits ausgemacht sein dürfte, hofft der DGB immer noch, diese bildungspolitische Errungenschaft auf selbstbestimmte Bildungswege auch in Deutschland einführen zu können.

Ebenfalls sehr angetan zeigten sich die deutschen Gewerkschafter:innen von unserem erhöhten Schulungszuschuss für Arbeitslose und Sozialhilfebezieher:innen in AMS-Ausbildungen. Zur Erinnerung: Arbeitslose in AMS-Schulungen mit einer Dauer von von über vier bzw. zwölf Monaten erhalten zusätzliche zu Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe 220 bzw. 370 Euro monatlich. Soziale Absicherung bei Weiterbildung – das ist ein zentraler Hebel zur Bewältigung des „Fachkräftemangels“, und das längst nicht nur im Bereich der Green Jobs. In Deutschland beträgt Weiterbildungsgeld 150 Euro/Monat.

Warnung! Die nächste Regierung kann ihre umwelt- und industriepolitische Zukunft gefährden

Zusammengefasst: Im nahen Ausland, das mit ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen hat wie wir, wird sehr aufmerksam beobachtet, welche Aktivitäten zum sozial gerechten ökologischen Umbau gesetzt werden bzw. wurden. Und sie gelten – man höre und staune und glaubt es kaum, hört man der hiesigen Opposition aber auch dem konservativen Regierungspartner zu – als vorbildhaft. Für uns eine Bestätigung unserer Arbeit der letzten fünf Jahre. Dass innerhalb dieses kurzen Zeitraums jahrzehntelange Versäumnisse und Fehlentscheidungen  nicht so einfach behoben  werden können, sollte wohl jedem klar sein. Was allerdings gemacht wurde: Wesentliche Schritte in Richtung Klimaneutralität gesetzt und wichtige Pflöcke eingeschlagen.

Dass dieser Weg allerdings fortgesetzt wird, ist alles andere als sicher. Im Gegenteil: Von der Transformationsoffensive Industrie über die CO2-Bepreisung bis zu Klimaschutzinvestitionen steht alles zur Disposition. Unter SPÖ, ÖVP und NEOS droht wieder der Rückwärtsgang in Richtung fossiler Vergangenheit eingelegt zu werden. Womit der Industriestandort Österreich noch stärker unter Druck zu geraten droht. Zukunftsorientierte und nachhaltige Standortpolitik sieht nämlich anders aus. Wer heute noch auf Verbrenner und Fossile setzt hat das Morgen schon verloren. Vielleicht könnten die österreichischen Sozialdemokrat:innen ja dahingehend einmal beim deutschen DGB nachfragen. Und die österreichischen Konservativen beim Deutschen Industriellenverband …