Die Italienische Regierungskoalition aus Rechtskonservativen und Rechtextremen schafft die erst 2019 unter der 5-Sterne-geführten Regierung beschlossene Sozialhilfe („Bürgereinkommen“ oder „Bürgergeld“) wieder ab. Weit über zwei Millionen Italiener:innen – insbesondere Bewohner:innen des wirtschaftlichen schwachen, von Armut und Arbeitslosigkeit besonders stark betroffenen Südens – verlieren ihre Existenzgrundlage.
Zur Vorgeschichte: Bis 2019 gab es in Italien keine Sozialhilfe. Wer arbeitslos war, erhielt maximal zwei Jahre Arbeitslosengeld. Insbesondere im Süden Italiens waren Armut und Armutsgefährdung besonders hoch. 2019 wurde unter der 5-Sterne-Lega-Regierung die Einführung des „Bürgereinkommens“ in Höhe vom max. 780 Euro für Einzelpersonen, für eine Familie mit zwei Kleinkindern von max, 1.180 Euro/Monat beschlossen. Das „Bürgergeld“ entspricht dabei einer Sozialhilfe: Es ist bedarfsorientiert, Bezieher:innen müssen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, es gibt Vermögensgrenze, Einkommen wird gegengerechnet: Wer ein geringes Einkommen von z.B. 200 Euro monatliche bezieht kann dieses mit „Bürgergeld“ um 580 Euro aufstocken. Mit dem „Bürgergeld“ sollte dabei helfen, die grassierende Armut und Prekarität zu bekämpfen.
Auch wenn die italienische Sozialhilfe mit 780 Euro vergleichsweise bescheiden ausfällt, stellte sie für hunderttausende Betroffen und ihre Familien eine wichtige Unterstützung dar. Anfang 2023 lebten rund 2,7 Mio. Menschen in Haushalten, die „Bürgergeld“ bezogen, zu 70 % Bewohner:innen des italiensichen Südens. Damit ist nun Schluss.
Ein rechtskonservatives Verelendungsprogramm
Bereits im August 2023 wurde zahlreichen Betroffenen per SMS (!) mitgeteilt, dass ihnen die Sozialhilfe gestrichen bzw. gekürzt wird. Mit Ende 2023 wird das „Bürgergeld“ überhaupt abgeschafft. An Stelle des Bürgergelds tritt eine sogenannte „Eingliederungsbeihilfe“. Diese beträgt maximal 500 Euro und wird nur noch an bedürftige Über-60-Jährige, Menschen mit Behinderung und Familien mit Minderjährigen ausgezahlt. 350 Euro gibt es für Arbeitslose, die Qualifizierungsmaßnahmen oder Weiterbildungskurse besuchen – aber auch nur maximal für ein Jahr. Allesamt Beträge, von denen sich nicht Leben lässt. Eine soziale Katastrophe sowie ein sprunghafter Anstieg von Armut scheint vorprogrammiert. Italien wird damit wieder zum einzigen Staat der EU, der keine bundesweite Sozialhilfe kennt.
Von der Abschaffung erhofft sich die postfaschistische Premierministerin Meloni Einsparungen in Milliardenhöhe. Die Abschaffung der Sozialhilfe war ein Wahlversprechen Melonis. Der Sozialhilfe wird unterstellt, Betroffene von der Arbeitssuche abzuhalten und die Betroffenen in die „Abhängigkeit“ des Staates zu führen, wo sie es sich bequem einrichten würden. Klassische, bekannte Argumente, wie sie regelmäßig von Konservativen und Rechten aller Couleurs immer wieder vorgebracht werden. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, mangelnder Jobperspektiven und der notorischen wirtschaftlichen Unterentwicklung des italienischen Südens erscheinen die „Argumente“ zusätzlich als besonders zynisch. Die Abschaffung der Sozialhilfe stellt somit ein rechtskonservatives Verelendungsprogramm dar, das Armut, den informellen Sektor, Ausbeutung, prekäre Beschäftigung, Abstiegsängste und Unsicherheit befördern wird.
Es macht einen Unterschied, wer regiert
Wir erinnern uns zurück an die türkis-blaue Kurz-Strache-Regierung. Es ist kein Zufall, dass eine der großen sozialpolitischen Einschnitte die Mindestsicherung bzw. die Sozialhilfe, also das letzte soziale Netz, betroffen hat. Die Mindestsicherung wurde abgeschafft und durch die „Sozialhilfe neu“ ersetzt. Anstelle von Mindestbeträgen im Rahmen der Mindestsicherung traten nun Maximalbeträge, mit denen die neue Sozialhilfe gedeckelt war. Die Sozialhilfe für Mehrkind-Familien wurde gekürzt und zusätzliche Hürden für Asylberechtigte eingeführt (Sach- statt Geldleistungen). Der Verfassungsgerichtshof hob mehrere Schikanen – insb. die Kürzungen bei Mehrkind-Familien und bei Asylberechtigten auf, andere Härten blieben allerdings.
Mit der Grünen Regierungsbeteiligung konnte die Entwicklung in Richtung weitere, drohende Verschärfungen bei der Sozialhilfe gestoppt, einige „Giftzähne“ gezogen und Verbesserungen erreicht werden.
-
- In drei Jahren grüner Regierungsbeteiligung 2021, 2022 und 2023 wurde die Sozialhilfe nachhaltig, dauerhaft über der Inflationsrate erhöht
- Im Rahmen der Corona- und Antiteuerungsmaßnahmen wurden mehrfach Zusatzzahlungen an Sozialhilfebezieher:innen geleistet
- Von Juli 2023 bis Ende 2024 erhalten Kinder die in Haushalten leben, die Sozialhilfe beziehen, monatlich 60 Euro zusätzlich zur Familienbeihilfe, die ebenfalls – ein grüner Erfolg – jährlich um die Inflationsrate erhöht wird. Von Juli 2023 bis zur regulären Erhöhung Anfang 2024 wird zusätzlich die Sozialhilfe monatlich um 60 Euro angehoben.
- Im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz wurden mehrere Härten beseitigt – „Giftzähne“ gezogen: So wird das Pflegegeld Angehöriger im selben Haushalt nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet, werden therapeutische Wohneinrichtungen – z.B. Frauenhäuser – nicht mehr als gemeinsamer Haushalt gezählt, steht somit allen Bewohner:innen gleichermaßen die Sozialhilfe zu, wurde eine Härtefallregelung eingeführt, die den Sozialhilfebehörden einen größeren Spielraum bei der Gewährung von Hilfen einräumt und werden Sonderzahlungen für Aufstocker:innen bzw. Pensionist:innen die Leistungen aus der Sozialhilfe beziehen, nicht mehr zwangsläufig angerechnet.
Der Vergleich macht sicher: Unter rechtskonservativen Regierungen wird das letzte soziale Netz zerstört. Unter grüner Regierungsbeteiligung werden Härten beseitigt und dem Kampf gegen Armut wieder hohe Priorität eingeräumt. Es macht schon einen Unterschied wer regiert. Und soll auch Warnung sein, was droht, wenn es in Österreich wieder zu einer FPÖ Regierungsbeteiligung mit der ÖVP kommt. Das zeigt(e) Österreich. Das zeigt aktuell Italien.
Was jedenfalls auch klar ist: Die Sozialhilfe wie sie jetzt in Österreich existiert, muss komplett neu aufgestellt in Richtung einer bedarfs- und lebenslagenorientierten Grundsicherung verändert werden. Die Sozialhilfe neu ist nur mehr ein Gerippe und daher weitgehend ungeeignet als wirkungsvolles Instrument gegen Armut. Aktuell fehlen die Mehrheiten für eine Totalreform. Wir werden allerdings nicht aufgeben, darum zu kämpfen.
Weil Österreich nicht Italien werden darf.
Link: Italien streicht Bürgergeld: Wie Meloni den Armen an den Kragen geht, ZDF-Beitrag vom 1. November 2023