Lasst die #Bildungskarenz in Ruh‘!

Die Agenda Austria reitet mal wieder. Und es darf getrost davon ausgegangen werden, durchaus in Absprache mit dem Arbeitsministerium. Das will nämlich schon seit längerem die Bildungskarenz „reformieren“ – sprich einige hundert Millionen einsparen. Schließlich sollen ja Lohnnebenkosten gesenkt werden. Nur wird sich das halt wieder mal nicht spielen.

Kurze Rückblende zu den türkis-grünen Koalitionsverhandlungen, Bereich Arbeit und Soziales. Die ÖVP wollte damals schon die Bildungskarenz „reformieren“ – sprich den Zugang erschweren, Leistungsnachweise erhöhen etc. Wir Grüne wollten das nicht. Es gab keine Einigung. Und damit auch nichts dazu im Koalitionspapier. Das sind die Fakten.

Die ÖVP probiert’s trotzdem immer wieder. Ob mit Wartefristen beim Arbeitslosengeld, mit degressivem Arbeitslosengeld, mit Kürzungen bei der Notstandshilfe… Ohne Aussicht auf Erfolg, weil’s das mit uns nicht gibt. Und jetzt halt bei der Bildungskarenz…

Bildungskarenz – beliebt und erfolgreich

Die Bildungskarenz ist beliebt. Sie wird gerne angenommen. Wir werden kaum einen Menschen finden, der sich über die eigene Bildungskarenz beklagt. Die Betroffenen machen sie also gerne. Grund genug für die ÖVP, dagegen vorzugehen. Sie sei zu teuer, zu ineffizient, würde ihren Zweck verfehlen. Schnell wird noch hinzugefügt, dass sie „natürlich“ nicht abgeschafft werden würde und eh toll sei. Sie soll halt nur a bisserl abgeschafft werden. Weil die Betriebe weniger Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen wollen. Und die sind einigen in der Republik nun einmal näher, als die Arbeitnehmer:innen.

Explodierende Zahlen?

Ein Argument gegen die aktuelle Bildungskarenz: Die Zahlen der Inanspruchnahme und die Kosten für die Bildungskarenz würden geradezu „explodieren“. Tatsächlich nahmen in den letzten Jahren – aktuell sind es rund 22.000 – deutlich mehr Menschen Bildungskarenz in Anspruch, als noch zu Beginn der 2000er Jahre. Die Kosten belaufen sich aktuell auf rund 500 Mio. Euro. Wir müssen aber keine ‚Raketenwissenschafter:innen‘ sein, um konkrete Zusammenhänge mit den Krisen der letzten Jahre herzustellen: Dass in Corona-Zeiten – mit dem erhöhten Arbeitsplatzrisiko, mit dem zeitlich befristeten Herunterfahren ganzer Branchen und der damit verbundenen beruflichen Umorientierung zahlreicher betroffener Arbeitnehmer:innen – die Inanspruchnahme der Bildungskarenz gestiegen ist, kann nicht wirklich überraschen. Die Bildungskarenz ist wohl – auch – ein Instrument, das in Krisen in Anspruch genommen wird. Und bevor wer in die „Arbeitslose“ geht, wird lieber eine Bildungskarenz zur Neuorientierung gemacht. Und daran ist auch nichts schlecht.

Ineffizient und „Bringt dem Arbeitsmarkt“ nix?

Auch das gerne vorgebrachte Argument, dass die Bildungskarenz ihren arbeitsmarktpolitischen Zweck – nämlich die Arbeitsmarktchancen und Einkommen der Betroffenen zu erhöhen – verfehle, ist so nicht haltbar: Der Rechnungshofbericht – er gilt den besonders Reformeifrigen als Basis ihrer Reformbestrebungen – spricht zwar davon, dass nach einem Jahr „lediglich“ 1/3 der Abgänger:innen einer Bildungskarenz ein höheres Einkommen zu verzeichnen hätten, nach drei Jahren allerdings bereits mehr als die Hälfte. Diese Ergebnisse sind nicht wirklich überraschend und schon gar nicht Beleg dafür, dass eine Bildungskarenz nichts bringe. Gerade Phasen der beruflichen Umorientierung, berufliche Neustarts, Wege in die Selbständigkeit etc. bringen regelmäßig erst mittelfristig, nach einigen Jahren Einkommenssteigerungen mit sich. In der Bildungskarenz jedenfalls für mehr als die Hälfte aller Absolvent:innen innerhalb von drei Jahren. Für die hat sich die Bildungskarenz also offensichtlich voll ausgezahlt.

Nur für Akademiker:innen und „G’stopfte“?

Auch gerne vorgebrachtes Argument gegen die Bildungskarenz: Diese würde überwiegend von Akademiker:innen, „Bildungsnahen“ und Gutverdiener:innen in Anspruch genommen. Bezieher:innen von Niedrigeinkommen, für die eine Bildungskarenz tatsächlich sinnvoll wäre, hätten nichts davon. Abgesehen davon, dass spätestens dann, wenn Agenda Austria, ÖVP und Unternehmensverbände mit „Verteilungsargumenten“ kommen, jede Skepsis dieser Welt angebracht ist, verfängt das Argument auch nicht. Abgesehen davon, dass man – wenn es einem/r tatsächlich um Verteilungsgerechtigkeit gehen sollte – wohl zuallererst bei der Ungleichverteilung von Vermögen, Einkommen, Chancen ansetzen müsste, ehe mensch sich den Leistungen der Arbeitslosenversicherung zuwendet, blendet dieses „Argument“ aus, dass gerade in den letzten Jahren grüner Regierungsbeteiligung Instrumente geschaffen wurden, die Bezieher:innen niedriger Einkommen neue Bildungschancen eröffnen. Erwähnt sei hier etwa das Pflegestipendium von monatlich aktuell rund 1.530 Euro oder der Schulungszuschlag neu, der Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bei längeren AMS-Kursen zwischen rund 220 und 370 Euro/Monat erhöht.

Gemessen am Bevölkerungsanteil wird die Bildungskarenz auch nicht überproportional von Akademiker:innen wahrgenommen. Liegt der Akademiker:innenanteil in der Gesellschaft bei 20 %, ist er bei den Personen in Bildungskarenz bei 24 %. Nicht viel anders bei Menschen mit Matura: Mehr als die Hälfte der Bildungsgeldbezieher:innen haben zumindest Maturaabschluss. Knapp über der Hälfte der Menschen, die in Österreich leben, verfügen über einen mittleren/höheren Schulabschluss bzw. über ein Studium – Tendenz steigend.

Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Menschen mit höherem Bildungsabschluss deutlich seltener von Arbeitslosigkeit betroffen sind als z.B. Pflichtschulabsolvent:innen. Sie zahlen allerdings – wie alle Arbeitnehmer:innen – genauso in die solidarische Arbeitslosenversicherung ein – tendenziell mehr als sie „heraus“bekommen. Warum dann eine vollkommen unpassende „Verteilungsdiskussion“ in der Arbeitslosenversicherung starten? Letztlich lebt der Sozialstaat davon, dass auch „Nettozahler:innen“ wissen, dass sie vom Sozialstaat und seinen Leistungen profitieren. Weil der Sozialstaat eben einen universellen Anspruch hat.

Geld für’s Nichtstun?

Ein besonders perfider Vorwurf – gerade in Zeiten, wo Arbeitsdruck/-belastung für viele steigen und berufliche „Auszeiten“ eine Möglichkeit der Erholung, der Wiederherstellung der Arbeitskraft, der beruflichen Neuorientierung, der Perspektivenfindung dienen können. Auszeiten, die hundertmal besser, gescheiter,  menschlicher  und wirtschaftlich sinnvoller sind als Frühpensionierungen, Langzeitkrankenstände oder Langzeitarbeitslosigkeit aufgrund von Erkrankungen sowie psychischer oder körperlicher Erschöpfungen. Viele, die Bildungskarenz in Anspruch genommen haben oder nehmen, haben Matura nachgeholt, sich spezialisiert, ihr lange vernachlässigtes Studium abgeschlossen, sich beruflich neu- bzw. umorientiert. Sie erwerben oder erwarben Zusatzqualifikationen, Sprachkenntnisse. Und ja – weil es keinen Anspruch auf ein Sabbatical gibt und ein solches, wenn überhaupt, vor allem im öffentlichen Dienst in Anspruch genommen wird, ist für manche die Bildungskarenz auch eine Art Auszeit. Na und? Sie müssen dennoch Nachweise über (Uni-)Kurse, über Bildungsmaßnahmen etc. bringen. Eine der wenigen Möglichkeiten, über eine längere Zeit Kraft zu tanken, sich neu zu orientieren, soll drastisch eingeschränkt, der Zugang erschwert und bürokratisiert werden? Das soll die Antwort auf einen ganz offensichtlich bestehenden Bedarf in unserer Gesellschaft sein?

Worum’s geht: Leistungskürzungen für Lohnnebenkostensenkung

Worum es in der Diskussion um die Bildungskarenz vornehmlich geht: finanziellen Spielraum für Lohnnebenkostensenkungen – ganz oben auf der Agenda von ÖVP und NEOS – zu schaffen. Kein Wunder, dass gerade die NEOS besonders gegen die Bildungskarenz agitieren (wie übrigens auch gegen den Bildungsbonus für Arbeitslose und Sozialhilfebezieher:innen). Was bei der Bildungskarenz gespart wird, kann bei Arbeitslosenversicherungbeiträgen reduziert werden. Tatsächlich – mit dem demografischen Wandel und der damit einhergehenden Arbeitskräfteknappheit – werden in den nächsten Jahren die Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung steigen, die Ausgaben niedriger werden. Das würde z.B. Möglichkeiten bieten, Langzeitarbeitslose sozial besser abzusichern, zielgerichtete Bildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen auszubauen, Bildungsangebote zu attraktivieren, Arbeitsmarkt und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf die Notwendigkeiten und Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation vorzubereiten.

All das scheint Konservative wie Wirtschaftsliberale allerdings wenig zu interessieren. Leistungen kürzen, damit Lohnnebenkosten – Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – reduziert werden können. Leistungen kürzen – wie eben die Bildungskarenz. Eine Leistung –  Konservativen wie Wirtschaftsliberalen besonders verhasst, weil sie so vielen gefällt.

Wir machen da nicht mit. Das wissen sie im Arbeitsministerium auch. Sie probieren’s trotzdem. Darum auch hier gerne nochmals: Lasst die Bildungskarenz in Ruh!