Ein weiterer sozialpolitischer Erfolg der Grünen: Der Schulungszuschlag neu – der ehemalige „Bildungsbonus“ – wird auch auf Sozialhilfe- und Mindestsicherungsbezieher:innen ausgeweitet. Diese wichtige Maßnahme wurde am 28. Februar im Österreichischen Nationalrat beschlossen. Erstaunlicherweise ausgerechnet gegen die Stimmen der selbsternannten Bildungs- bzw. Sozialparteien NEOS und SPÖ. Aber fangen wir von vorne an …
Seit 1. Jänner 2024 gilt der Schulungszuschlag neu für Arbeitslosengeld (ALG)- und Notstandshilfebezieher:innen (NH). Ein grüner Erfolg. Nicht nur die erste wirkliche Arbeitslosengelderhöhung der letzten Jahrzehnte, sondern auch ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik: Mit dem Schulungszuschlag wird es vielen Arbeitslosen finanziell überhaupt erst möglich, eine länger dauernde AMS-Schulung – egal ob Qualifizierung, Weiterbildung oder berufliche Umorientierung – abschließen zu können. Zusätzlich verbessert eine Höherqualifizierung die Chancen auf ein stabiles Beschäftigungsverhältnis mit einem entsprechenden Einkommen, reduziert das Risiko arbeitslos zu werden, und entlastet so öffentliche Haushalte.
Schon der Bildungsbonus der Corona-Zeit hat die Abbruchquoten in AMS-Kursen reduziert. Vom deutlich höheren und flexibler gestalteten Schulungszuschlag neu darf man noch bessere Resultate erwarten. Nochmals in aller Kürze eine Beschreibung des Schulungszuschlags neu:
-
- Wer einen AMS-Kurs mit einer Dauer unter vier Monaten besucht, der erhält – wie bisher – den einfachen Schulungszuschlag von aktuell rund 75 Euro/monatlich zusätzlich zu Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.
- Wer AMS-Kurse mit einer Dauer von über vier Monaten absolviert, bekommt den dreifachen Schulungszuschlag – das sind aktuell rund 224 Euro/Monat. Das schon eine deutliche Verbesserung zum in der Corona-Zeit eingeführten Bildungsbonus von zuletzt 190 Euro monatlich.
- Für AMS-Kursen über zwölf Monate, erhält der/die Absolventin sogar den bis zu fünffachen Bildungsbonus – also bis zu 374 Euro/Monat zusätzlich zu ALG/NH, gedeckelt mit einem Höchstbetrag von 1.536 Euro (ALG/NH + fünffaschen Schulungszuschlag) monatlich. Jedenfalls – unabhängig von der Höhe des ALG bzw. der NH – steht zumindest der dreifache Bildungsbonus zu.
- Der Schulungszuschlag neu wird jährlich valorisiert.
Nach Schätzungen des Arbeitsministeriums werden über 50.000 Arbeitslose jährlich vom drei- bzw. fünffachen Schulungszuschlag profitieren. Bislang ausgenommen vom Schulungszuschlag sind allerdings Bezieher:innen einer Sozialhilfe (SH) bzw. Mindestsicherung (BMS) in AMS-Maßnahmen. Das ändert sich jetzt.
Schulungszuschlag NEU – künftig auch bei Sozialhilfe und Mindestsicherung
Bislang gilt: Für Sozialhilfe- bzw Mindestsicherungsbezieher:innen, die einen AMS-Kurs absolvieren, übernimmt das AMS die Deckung des Lebensunterhalts (DLU). Zusätzliche bekommen die Betroffenen den einfachen Schulungszuschlag. Die DLU liegt unter der SH bzw. BMS. Der Schulungszuschlag wurde bei einer etwaigen Aufstockung der DLU auf Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung angerechnet.
Die finanzielle Situation für SH/BMS-Bezieher:innen in einer AMS-Maßnahme verbessert(e) sich also nicht wirklich, der Anreiz eine längere AMS-Maßnahme zu absolvieren war angesichts der ohnehin angespannten sozialen Lage nur gering, weil oft genug ökonomisch nicht leistbar. Höherqualifzierung war so nur schwer möglich, übrig blieben prekäre, instabile Jobs mit damit verbundenem höheren Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko. Ein Teufelskreislauf.
Mit der Ausweitung des Schulungszuschlag NEU auf Sozialhilfe und Mindestsicherung soll diese wieder stärker zu einem Sprungbrett zurück ins Erwerbsleben werden und die Absolvierung länger dauernder AMS-Schulungen finanziell ermöglichen.
Was gilt nun für SH/BMS-Bezieher:innen?
-
- Gleich bleibt die Regelung, wonach BMS/SH-Bezieher:innen in AMS-Kursen unter einer Dauer von vier Monaten, DLU und einfachen Schulungszuschlag erhalten. Dieser wird künftig – wie auch die erhöhten Schulungszuschläge insgesamt – allerdings NICHT mehr auf SH und BMS angerechnet.
- Wer AMS-Kurse mit einer Dauer von über vier Monaten besucht, erhält zusätzlich zu DLU und einfachen Schulungszuschlag – den doppelten Schulungszuschlag aus der Sozialhilfe dazu – aktuell rund 149 Euro.
- Bei AMS-Kursen die über zwölf Monate dauern, vervierfacht sich der entsprechende Schulungszuschlag aus der Sozialhilfe analog zu Arbeitslosengeld und Notstandhilfe.
- Die Umsetzung braucht allerdings: Die Bundesländer dürfen sich bis zu sieben Monate Zeit lassen.
Sozialhilfe- und Mindestsicherungsbezieher:innen erhalten somit künftig die gleichen Zuschläge wie Arbeitslose mit ALG bzw. NH-Bezug. Dass die erhöhten Schulungszuschläge aus der Sozialhilfe der Länder geleistet werden, ist dabei nur fair – schließlich übernimmt das AMS nicht nur die Deckung des Lebensunterhalts an Stelle der SH/BMS, sondern auch die Kosten der Ausbildungs- und Qualifizierungskurse. Der Anteil, den die Länder zu leisten haben beläuft sich nur auf einen Bruchteil der Ausgaben für die Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung die sich die Bundesländer ersparen, weil diese Großteils über die DLU abgedeckt werden.
So geht „gerechte Transformation“!
Weiterbildung, Qualifizierung, berufliche Um- bzw. Neuorientierung werden in den nächsten Jahren enorm an Bedeutung gewinnen. Mit der Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität vollzieht sich auch in der Arbeitswelt ein enormer Wandel. Neue Berufsbilder entstehen, herkömmliche Berufe werden sich „modernisieren“, zusätzliche Fähigkeiten müssen erworben werden. Und – ja – manche Berufe werden überhaupt verschwinden. Genauso werden aber auch neue entstehen. „Green“ Jobs, Pflege-, Bildungs- und andere soziale Berufe werden bereit jetzt verstärkt nachgefragt und werden in den nächsten Jahren noch zusätzlich an Bedeutung gewinnen.
Mit dem Schulungszuschlag neu reagiert die österreichische Arbeitsmarktpolitik auf diese Erfordernisse und Herausforderungen. „Niemand darf zurückbleiben!“ bleibt nicht bloße Überschrift sondern wird konkret. Wer sich beruflich neu orientieren muss, wer sich zusätzliche Qualifikationen aneignen muss, der/die wird künftig finanziell deutlich besser abgesichert als bisher. Der Schulungszuschlag neu wird so zu einer zentralen Säule der ökologischen Transformation und zum sozial gerechten Wandel.
SPÖ und NEOS dagegen
Die Kombination von Qualifizierung und besserer finanzieller Absicherung ist aus vielerlei Hinsicht intelligent: Sie bringt Betroffenen in Notsituationen wie Arbeitslosigkeit eine bessere finanzielle Absicherung und eine Zukunftsperspektive. Sie hilft den Unternehmen, ihren Fachkräftebedarf besser abzudecken. Sie entlastet öffentliche Haushalte nachhaltig, weil mit höherer Qualifikation das Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko sinkt. Eine Win-Win-Win-Situation. Da kann doch eigentlich niemand dagegen sein, oder? Doch, man kann.
Und zwar ausgerechnet die selbsternannte „Bildungspartei“ NEOS und die nicht weniger selbsternannte „Sozialpartei“ SPÖ. Beide Parteien haben sowohl gegen den Bildungsbonus für Arbeitslose als auch für Sozialhilfebezieher:innen gestimmt.
Die NEOS haben ihre Haltung in der Nationalratssitzung einmal mehr ganz offen zum Ausdruck gebracht. Wenn Sozialhilfebezieher:innen noch mehr Geld bekommen, würden „sie fix nicht mehr arbeiten.“ Was für ein Menschenbild! Bildungspartei zu sein endet offensichtlich dort, wo es um Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut geht. Bessere Chancen durch Bildung für Alle? Nicht für Arbeitslose und Arm! Und das von einer Partei, die in Permanenz den Fachkräftemangel geklagt. Als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen fehlenden Fachkräften und zu wenig zu schlecht ausgebildeten Arbeitssuchenden. Dass der Schulungszuschlag also – „mehr Geld“ – an Qualifikation, Weiterbildung, Umorientierung – geknüpft ist, also mit „Arbeit“, mit „Leistung“ im Sinne von Lernen, Studium, Werkstatt, Prüfungen etc. verbunden ist, fällt den NEOS nicht einmal auf. Dass Bildung, Qualifizierung, das Aneignen von Fähigkeiten, Routinen, Abläufen viele, die schon lange aus dem Arbeitsleben draussens sind, überhaupt erst befähigt bzw. ermächtigt, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in der Welt der NEOS offensichtlich kein Thema. So weit so erwartbar.
Warum allerdings ausgerechnet die SPÖ – die ja in Dauerschleife das (von ihr mitverantwortete) niedrige Arbeitslosengeld und die Unzulänglichkeiten der Sozialhilfe beklagt – gegen den Schulungszuschlags gestimmt hat, kann nur gemutmaßt werden. Nicht zuletzt, wo doch der Schulungszuschlag für SH-Bezieher:innen ein ausdrückliches Anliegen zuständiger Fachpersonen in AK und AMS war. Warum ausgerechnet die Zustimmung zu einem sozial- und arbeitsmarktpolitischer Meilenstei, der die Lebenssituation zehntausender verbessert, von der SPÖ verweigert wird, kann eigentlich nur einen Grund haben. Und das ist keiner, der besondere Sympathien für die SPÖ weckt. Und daran zweifeln lässt, dass es die Sozialdemokratie mit ihren sozialen Anliegen ernst ist: Tatsächlich passen die – vor allem von uns Grünen erkämpften – sozialpolitischen Erfolge der letzten Jahre nur schlecht in die sozialdemokratische Erzählung von der „sozialen Kälte“ vom „brutalen Sozialabbau“, die angeblich von der schwarz-grünen Regierung ausgehen sollten. Objektiv betrachtet ist nämlich genau das Gegenteil der Fall: Der Sozialstaat wurde in den Jahren grüner Regierungsbeteiligung noch gefestigt und ausgebaut, neue Leistungen eingeführt und neue Wege beschritten. No na, Die Grünen verstehen sich als soziale Partei. Ein paar Beispiele:
-
- Mit der automatischen Inflationsanpassung wurde die Entwertung von Sozial- und Familienleistungen beendet und die Kaufkraft gesichert.
- Mit dem Frühstarter:innenbonus statt der „abschlagsfreien“ Hacklerregelung wurde mehr Geschlechter- und Verteilungsgerechtigkeit ins Pensionssystem gebracht.
- Der türkis-blauen Sozialhilfe konnten wichtig Giftzähne gezogen.
- Die Altersteilzeit wurde flexibilisiert und modernen Erwerbsverläufen angepasst. Der Kreis jener, die Altersteilzeit in Anspruch nehmen können, wurde deutlich ausgeweitet
- Mit dem „diskretionären“ Drittel im Rahmen der Abschaffung der Kalten Progression wurde ein Instrument geschaffen, mit dem wir gezielte Entlastungsmaßnahmen – insbesondere auch für untere Einkommensgruppen – setzen können.
- Endlich ist die Pflegemilliarde umgesetzt! Seit Beginn der 2000er Jahre von Gewerkschaften gefordert wurde sie unter einem grüner Sozialminister verwirklicht. Im Zuge der Pflegereform wurden Einkommen der Pfleger:innen nachhaltig aufgewertet, Arbeits- und Ausbildungsbedingungen – auch finanziell – deutlich verbessert
- Mit dem Paket gegen Kinderarmut ist es erstmals gelungen, ganz gezielt und über eine längere Dauer hinweg armutsgefährdete Haushalte mit Kindern zu unterstützen. Wir reden nicht davon, wie eine Kindergrundsicherung theoretisch funktionieren könnte – wir setzen die konkreten ersten Schritte. Als Grüne in der Regierung.
- Und schließlich – der Schulungszuschlag für Arbeitslose und Sozialhilfebezieher:innen.
Diese Liste wäre noch fortzusetzen. Sozialabbau? Fehlanzeige. Soziale Kälte? Wo bitte? Haben wir alles durchgesetzt was wir wollten? Natürlich nicht. Aber wir haben weit mehr erreicht, als von vielen, die es mit den Grünen nicht gut meinen, erhofft …
Und genau das dürfte das Problem der Sozialdemokratie sein. Während sie von dieser Regierung – insbesondere von der grünen Seite – ständig einfordert doch gefälligst das umzusetzen, was sie selbst in Jahrzehnten sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung verschlafen, selbst verhindert, verabsäumt, vergessen, nicht interessiert hat, sind wir bei der Durchsetzung sozialpolitischer Anliegen tatsächlich überraschend erfolgreich. Jede rote Zustimmung zu einem grüne Erfolg wäre da ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns in der Vergangenheit. Jeder grüne sozialpolitische Erfolg freut die SPÖ weit weniger als er sie zutiefst schmerzt. Jede Zustimmung ihrerseits würde ihr eigenes Narrativ, die einzige soziale Kraft im Nationalrat zu sein, gehörig in Frage stellen. Darum: Bloß nicht das eigenes Narrativ in Frage stellen. Lieber gegen die Interessen – in ihrer Begrifflichkeit – „unserer Leute“ stimmen. Und das soll dann sozial sein?
Uns kann’s egal sein: Wir freuen uns jedenfalls darüber, wieder ein ordentliches Stück mehr soziale Sicherheit mit Perspektive für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger:innen umgesetzt zu haben. Vieles haben wir erreicht. Es gibt noch mehr zu tun. Unsere Arbeit ist noch längst nicht erledigt. Wir bleiben dran.