#Wartefrist bei Sozialleistungen? Ein Schuss ins (eigene) Knie

Jetzt ist es schon wieder passiert. Die ÖVP fordert einmal mehr – diesmal in Person der Familienministerin – dass Ausländer:innen erst nach einer 5-jährigen Wartefrist (die vollen) Sozialleistungen erhalten sollen. Und wieder einmal bleibt die ÖVP sehr unkonkret, wenn es darum geht, näher zu definieren, welche Sozialleistungen denn überhaupt gemeint sein könnten. Konkret ist die ÖVP beim Ziel: nicht Zuwander:innen ins Sozialsystem, sondern solche, die bei uns wirklich arbeiten wollen, sollten nach Österreich kommen. Es gilt ja schließlich auch, rechte Wähler:innensegmente zu halten.

Wir Grünen lehnen diese ÖVP-Pläne seit jeher ab. Mit uns ist das nicht zu machen. Das weiß natürlich auch die ÖVP. Auch in rechtlicher Hinsicht – so die Einschätzung der meisten Expert:innen – sind die ÖVP-Pläne nicht durchführbar. Dennoch sollte man sich sich mit den ÖVP-Forderungen – und insbesondere was diese in letzter Konsequenz bedeuten würden – näher auseinandersetzen. Denn es wird nicht das erste und mit Sicherheit nicht das letzte Mal gewesen sein, dass derartige Forderungen in die politische Diskussion geworfen werden.

Sozialhilfe und Mindestsicherung

Bei der Sozialhilfe/BMS gibt es bereits für Drittstaatsangehörige eine 5-jährige Wartefrist. EU bzw. EWR-Bürger:innen haben nur dann einen unbeschränkten Zugang, wenn sie Arbeitnehmer:innen sind, oder bereits seit fünf Jahren in Österreich leben. Bleiben Asylberechtigte. Die dürfte die ÖVP wohl auch meinen, wenn sie von einer Wartefrist für Zuwander:innen bei der Sozialhilfe spricht. Ein Ausschluss von Asylwerber:innen wäre allerdings schlichtweg EU-rechts- und verfassungswidrig. Eine Ungleichbehandlung von Asylberechtigten gegenüber Staatsbürger:innen ist ebenso unzulässig wie Ungleichbehandlungen, die ausschließlich auf die Aufenthaltsdauer abstellen.

Ein erschwerter Zugang zur Sozialhilfe für Asylberechtigte hätte allerdings mehrere schwerwiegende Folgen, die vielfach ausgeblendet bleiben. Ein paar sollen hier erwähnt sein:

    • Die Sozialhilfe stellt eine finanzielle Mindestabsicherung dar, mit dem Ziel Armut zu vermeiden. Gerade Flüchtlinge zählen zur Gruppe der besonders armutsgefährdeten Menschen: sie verfügen in der Regel weder über Einkommen (sie sind ja als Asylwerber:innen vom Arbeitsmarkt großteils ausgeschlossen), noch Vermögen und oft genug auch nicht über am Arbeitsmarkt nachgefragte Qualifikationen bzw. Sprachkenntnisse. Ihnen den Zugang zu Sozialhilfe zu verwehren widerspricht nicht nur eklatant dem Ziel der Armutsbekämpfung – vielmehr würde eine derartige Maßnahme einen Armutsturbo darstellen. Wie soll so Integration funktionieren?
    • Wer Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung bezieht, erhält diese nur, wenn er/sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, muss also zumutbare Jobs bzw. AMS-Maßnahmen annehmen – wie Sprachkurse, Schulungen, Qualifizierungsmaßnahmen. Das ist auch gut so – denn Erwerbsarbeit gilt als wichtiger Hebel, Integration zu fördern. Wer aus allen sozialen Sicherungssystemen – wie der Sozialhilfe –  fällt,wird in schlechte, unterbezahlte, prekäre, in „informelle“ Jobs gedrängt, um überleben zu können. Perspektiven entstehen so nicht, dafür ein Niedriglohnsektor entrechteter, sozial- und arbeitsrechtlich nicht oder kaum abgesicherter Menschen. Ein sich so ausbreitender, informeller Sektor erhöht natürlich auch den Druck auf reguläre Arbeitsverhältnisse.
    • Wer SH/BMS bezieht ist krankenversichert. Damit ist sichergestellt, dass auch arme Menschen eine Gesundheitsversorgung erhalten, im Krankheitsfall behandelt, bei Unfällen versorgt werden, die Gefahr der Ausbreitung von Infektionskrankheiten eingedämmt wird etc. Wären Asylberechtigte aus einem Sozialhilfebezug für mehrere Jahre ausgeschlossen, wären die Betroffen auch nicht mehr krankenversichert. Aus einer gesundheitspolitischen Perspektive heraus  geradezu gemeingefährlich!

Die Idee, Asylberechtigte aus dem Sozialhilfebezug in den ersten Jahren ihres Status auszuschließen, erscheint vor diesem Hintergrund weder integrations-, arbeismarkt- noch gesundheitspolitisch besonders besonders durchdacht zu sein – eher das genaue Gegenteil ist der Fall.

Familienbeihilfe

Will die ÖVP vielleicht den Zugang zur Familienbeihilfe erschweren? Das bestehende Gesetz ist eindeutig: FB erhalten Eltern, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben und deren Kind entweder im gemeinsamen Haushalt lebt oder für das überwiegend Unterhalt geleistet wird. Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind und hier Asyl erhalten haben, haben logischerweise ihren Lebensmittelpunkt hier und damit Familienbeihilfe zu erhalten. Eine Ungleichbehandlung, die auf die Aufenthaltsdauer abzielt, wäre rechtlich wohl ebenso wenig zulässig, wie bei der Sozialhilfe.

Bei Arbeitnehmer:innen aus dem Ausland stellt sich die Situation noch einmal anders dar: die Beiträge zu Familienlastenausgleichsfonds werden aus der Lohnsumme finanziert, also auch aus ihren Löhnen und Gehältern. Eine Wartefrist wäre eine massive Ungleichbehandlung. Es würden Beiträge geleistet ohne Leistungen zu erhalten. Die ÖVP ist schon einmal beim Versuch einer Ungleichbehandlung – nämlich bei der Indexierung der Familienbeihilfe für Kinder im Ausland, was für die Masse der Betroffenen eine geringere Familienbeihilfe bei gleichen Beiträgen bedeutet – regelrecht „baden“ gegangen, da der EuGH der Indexierung eine klare Absage erteilt hat. Bei einer Wartefrist würde es sich wohl nicht anders darstellen, würden hier noch dazu gleich Beiträge gänzlich OHNE Gegenleistung geleistet. Ob sich die ÖVP bei der Familienbeihilfe – noch dazu eine Leistung, die dabei hilft, Kinderarmut zu verhindern – noch einmal eine ziemlich sichere Niederlage einholen wollte? Eine Wartefrist bei der FB wäre jedenfalls – wie schon die Indexierung anno dazumal – keine besonders gelungene Idee.

Leistungen der Sozialversicherungen

Welche sozialstaatlichen Leistungen könnte die ÖVP noch meinen? Vielleicht Sozialversicherungsleistungen – von Arbeitslosengeld über Gesundheitsversorgung bis Pensionen?  Wohl nicht ernsthaft.

    • Um einen Pensionsanspruch zu erwerben, muss ohnehin eine 15-jährige Versicherungsdauer vorliegen. Also Pensionen nicht.
    • Auch bei der Arbeitslosenversicherung gibt es bereits eine „Wartefrist“: Arbeitslosengeld erhält nur, wer zumindest ein Jahr beschäftigt war. Eine weitere Ausweitung der Wartefrist auf mehrere Jahre wäre arbeitsmarktpolitisch geradezu fatal. Sie würde dazu führen, dass betroffene ausländische Arbeitnehmer:innen weit weniger Rechte wahrnehmen würden – aus Angst den Job zu verlieren und vor dem finanziellen Nichts zu stehen – was natürlich insgesamt negative Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmer:innenrechte – auch jene von „Inländer:innen“ – hätte. Wer keine soziale Absicherung im Fall von Arbeitslosigkeit hat, ist gezwungen – will er/sie nicht kriminell werden – so ziemlich jeden Job anzunehmen, um überleben zu können. Auch das verbessert die Qualität von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen nicht.
    • Eine Wartefrist bei der Krankenversicherung wäre ein gesundheitspolitisches Desaster. Gesundheitsleistungen müssten privat finanziert werden, was für die große Mehrzahl Betroffener schlichtweg nicht leistbar wäre. Erkrankungen würden so nicht behandelt bzw. nicht oder zu spät erkannt, was natürlich auch die Ausbreitung hochinfektiöser Krankheiten befeuern würde. Ein Irrsinn. Soll allerdings niemand glauben, derartige Ideen hätte es nicht schon gegeben: so schwebte schon einmal der FPÖ eine eigene Krankenversicherung für Ausländer:innen vor, mit geringeren Leistungen für die Betroffenen bei geringeren Beiträgen. Eine institutionalisierte Zwei-Klassen-Medizin.

Abseits von den gemeingefährlichen Folgen derartiger Programme hätten sie zusätzlich den absurden Effekt, dass – bei Umsetzung – es ausgerechnet zu einer Verdrängung inländischer durch ausländische Arbeitnehmer:innen kommen könnte. Und das ausgerechnet bei einer durch und durch rechtspopulistischen Forderung …

Warum? Geringere Leistungen würden sich nur mit geringeren Beiträgen rechtlich argumentieren lassen. Niedrigere Sozialversicherungs-Beiträge für Zuwander:innen – wie bereits gesagt bereits im Forderungsprogramm der FPÖ – würden dabei allerdings sowohl arbeitnehmer:innen- als auch arbeitgeber:innenseitig anfallen. Würde heißen: ausländische Arbeitnehmer:innen würden den Unternehmen deutlich „billiger“ kommen als inländische bzw. Arbeitnehmer:innen, die schon länger als fünf Jahre im Land sind. Das wäre quasi institutionalisiertes Lohn- und Sozialdumping, massive Verdrängungseffekte am Arbeitsmarkt wären zu befürchten. Weg von teuren „Einheimischen“ hin zu billigeren „Zuwander:innen“. Soviel zum Thema „unser Geld für unsere Leut‘“. Und wie man sich dabei wunderbar ins eigene Knie schießt …

Viele Gründe gegen weniger Sozialleistungen für Ausländer:innen

Es gibt also viele Gründe, gegen weniger Sozialleistungen für Ausländer:innen zu sein. Zusätzlich darf auch bezweifelt werden, dass ein gesellschaftliches Klima, in dem Zuwander:innen grundsätzlich unterstellt wird, es vor allem auf Sozialleistungen abgesehen zu haben, für Fachkräfte aus dem Ausland besonders attraktiv ist. Warum sollten sie in ein Land kommen, das ihnen z.B.  Familienleistungen für ihre Kinder vorenthält?  „Arbeiten dürft ihr, Sozialleistungen gibt’s die ersten fünf Jahre allerdings sicher nicht“ ist nicht unbedingt eine besonders einladende Botschaft. Und klingt auch nicht nach Willkommenskultur. Die sieht definitiv anders aus. Das sollte vor allem auch eine „Wirtschaftspartei“ eigentlich wissen. Aber es gilt halt einmal mehr: Rechtspopulismus sticht wirtschafts- und sozialpolitische Vernunft. Die FPÖ freut’s.