#Warum aus der Arbeitsmarktreform letztlich nichts wurde

Nach monatelangen intensiven Verhandlungen ist die Arbeitsmarktreform nun endgültig abgesagt. Schon bei den Regierungsverhandlungen ist offensichtlich geworden, wie schwer es ist, im Bereich der Arbeitsmarktpolitik – einem seitens der ÖVP ideologisch besonders aufgeladenen Thema – gemeinsame Positionen zu finden. Entsprechend „dünn“ und unverbindlich ist das Kapitel auch ausgefallen.

Eine „Arbeitsmarktreform“ wurde recht bald von der früheren Arbeitsministerin Aschbacher, später von ihrem Nachfolger Martin Kocher in den Raum gestellt bzw. angekündigt. Im Regierungsprogramm ist von einer Arbeitsmarktreform allerdings nicht die Rede. Angesichts der bekannten inhaltlichen Differenzen war die Ankündigung überraschend – Gesprächen und Verhandlungen haben wir uns dennoch nie verweigert, weil nämlich tatsächlich Reformbedarf besteht. Etwa bei der Höhe des Arbeitslosengeldes, bei der sozialen Absicherung in Phasen von Qualifizierung und Weiterbildung und angesichts der enormen Herausforderungen für den Arbeitsmarkt in Folge von Klimakrise, Pflegenotstand und der notwendigen sozial-ökologischen Transformation.

Motivation, Unterstützung und Hilfe statt Druck, Kürzungen und Sanktionen – nach diesen Prinzipien sollte für uns GRÜNE eine Reform erfolgen.

Dass aus der angekündigten „großen“ Reform letztendlich nichts geworden ist, ist nicht wirklich überraschend angesichts grundsätzlich unterschiedlicher Zugänge und großer inhaltlicher Differenzen in zentralen arbeitsmarktpolitischen Fragen:

    • Eine Kürzung bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe war und ist für uns nicht denkbar, schon gar nicht in Zeiten massiver Teuerung. Außerdem sind die Nettoersatzraten im europäischen Vergleich ohnehin nicht besonders hoch. Im Gegenteil hätte es eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes – zumindest zu Beginn der Arbeitslosigkeit – und eine Valorisierung der Notstandshilfe wie auch bei allen anderen Sozialleistungen gebraucht. Wir haben das gefordert. Beides war mit der ÖVP nicht machbar.
    • Mit uns wiederum nicht machbar: Die Streichung oder drastische Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose. Hier waren die Forderungen der ÖVP überschießend und unverhältnismäßig – bei gerade einmal 10 % Arbeitslosen, die neben Arbeitslosengeld und Notstandshilfe geringfügig dazu verdienen. Mag eine Geringfügigkeit zu Beginn der Arbeitslosigkeit manchmal auch ein Hemmnis für eine raschere Arbeitsaufnahme sein, so ist sie für Notstandshilfebezieher:innen oft die einzige Chance, finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen. Bei länger dauernder Arbeitslosigkeit kann ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis zusätzlich eine Hilfe beim Wiedereintritt ins Berufsleben bedeuten.
    • Wir wären durchaus bereit gewesen, über eine zeitlich befristete Einschränkung des Zuverdienstes im ersten Jahr der Arbeitslosigkeit zu reden – mit Ausnahmen für besonders vulnerable Gruppen oder Menschen, die aus ihrer Zeit vor der Arbeitslosigkeit ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis „mitnehmen“. Das alles allerdings nur – wie bereits erwähnt –  unter der Voraussetzung einer besseren finanziellen Absicherung von Arbeitslosen und Notstandshilfebezieher:innen. Das wollte die ÖVP nicht. Damit auch hier: keine Einigung möglich.
    • Zuletzt scheiterte die Reform an der von der ÖVP gewollten Sperre („Wartefrist“) des Arbeitslosengeldes in den ersten 10 bis 14 Tagen der Arbeitslosigkeit. Die war für uns schlichtweg inakzeptabel, hätte sie doch nicht nur für 30 bis 40 % der Arbeitslosen Kürzungen beim Arbeitslosengeld bedeutet – nämlich bei all jenen, die kürzer als zwei bis zweieinhalb Monate arbeitslos sind – sondern noch dazu ausgerechnet jene „bestraft“, die vollkommen unschuldig ihren Job verloren haben und/oder von ihren Arbeitgebern für eine bestimmte Zeit auf Kosten der Allgemeinheit in der Arbeitslosenversicherung „geparkt“ werden. Nicht die kündigenden Unternehmen hätten die Kosten der Arbeitslosigkeit getragen, sondern die Arbeitslosen! Zusätzlich widerspricht eine derartige Sperre tatsächlich dem ursprünglichen Zweck der Arbeitslosenversicherung – nämlich genau in Zeiten einer unverschuldeten, (möglichst kurzen) Arbeitslosigkeit eine finanzielle Überbrückungshilfe zu sein.
    • Und: Ein derartiges Modell hätte nicht einmal dem – ohnehin nicht unumstrittenen – von der ÖVP präferierten Modell eines „degressiven“ Verlaufs eines Arbeitslosengeldes entsprochen. Dieses würde nämlich zu Beginn ein höheres, mit Zeitverlauf sinkendes Arbeitslosengeld auszahlen. Der/die Betroffene sollte so einen stärkeren „Anreiz“ haben, schneller wieder einen Job anzunehmen – im Wissen, dass mit der Dauer der Arbeitslosigkeit die soziale Absicherung abnimmt. Wie degressiv ist ein Modell, das im ersten Monat der Arbeitslosigkeit aufgrund der Sperre von 10 bis 14 Tagen tatsächlich unter (!) der aktuellen Nettoersatzrate liegt – nämlich zwischen  37 und 47 %? Und: Würde ein derartiges Modell nicht eher Anreize setzen, länger in Arbeitslosigkeit zu bleiben, um die Verluste zu Beginn auszugleichen?

Wie auch immer: Diese Reform des Arbeitslosengeldes hätten sich die Arbeitslosen selbst bezahlt. Entweder über eine Sperre zeitlich weiter „vorne“, oder eine Kürzung zeitlich weiter „hinten“. Das war, das ist mit uns nicht machbar.

Eine Reform des Arbeitslosengelds gibt’s nicht zum Nulltarif. Kürzungen wird es mit uns nicht geben. Das haben wir immer gesagt. Daran ist letztlich die „große“ Reform gescheitert.

Dass es auch anders gehen kann, haben die Jahre zuvor gezeigt: Mit der Corona-Joboffensive inklusive erhöhtem Bildungsbonus und der Aktion Sprungbrett haben wir bewiesen, dass es durchaus auch Schnittstellen zwischen ÖVP und GRÜNEN in der Arbeitsmarktpolitik geben kann. Beide Maßnahmen waren erfolgreich und haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Arbeitslosigkeit – insbesondere auch die Langzeitarbeitslosigkeit – zu senken.

Über Einmalzahlungen und die Anhebung der Notstandshilfe auf Arbeitslosengeldniveau ist es in der Corona-Krise auch gelungen, die Armutsgefährdung einzudämmen.

Erfolgreiche, zukunftsweisende Arbeitsmarktpolitik ist also möglich. Und sie ist auch notwendig. In diesem Sinne werden wir weiterarbeiten, weiterverhandeln und uns weiterhin bemühen, sinnvolle Lösungen im Sinne der Betroffenen und der aktuellen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen zu finden.